Von Matthias Bosenick (28.11.2015)
Das ist Kino. Paolo Sorrentino empfiehlt sich mit „Ewige Jugend“, international schlicht „Youth“ betitelt, einmal mehr als einer der wenigen zeitgenössischen Regisseure, die Mut genug haben, nicht nur tiefe Geschichten zu erzählen, sondern dies auch noch in visuelle und akustische Kunst eingebettet. Das ist Kino, für das man sein Zuhause verlässt und hernach glücklich wieder dorthin zurückkehrt. Erneut stellt der Fünfundvierzigjährige alte Männer ins Zentrum des Geschehens, hier in einem Sanatorium in der Schweiz. Inhaltliche Komplexität erreicht der Film hauptsächlich über die Dialoge, zusammen mit Sorrentinos typischer Bildsprache und dem kruden Humor ergibt dies ein wahres Kunstwerk. „Ewige Jugend“ ist weniger rasant als noch „La grande bellezza“, aber das passt perfekt zum Inhalt. Grandios.
Als Darsteller der alten Männer wählte Sorrentino Michael Caine und Harvey Keitel, die als befreundete Gegensätze durch ihre Leben streifen. Caine alias Fred Ballinger war als Komponist erfolgreich, hat sich aber zur Ruhe gesetzt, während Keitel als Drehbuchautor Mick Boyle mit einer Schar junger Leute an seinem Abschlusswerk arbeitet. Beide können sich nicht dagegen wehren, während ihres Aufenthalts in einem Schweizer Sanatorium permanent mit ihrer eigenen Vergangenheit und ihrer Fehlbarkeit konfrontiert zu werden. Freds Tochter Lena (Rachel Weisz) und Micks Sohn Julian sind verheiratet, aber er lässt sie für einen Popstar fallen, Paloma Faith, die sich selbst spielt. An diesem Umstand arbeiten die alten Männer ihre eigenen Rollen in ihrer Familie ab, vor allem ihre Verfehlungen und Versäumnisse. Auch mit ihrer jeweiligen Arbeit werden sie konfrontiert: Die Englische Queen will für einen besonderen Anlass Freds simpelste Komposition von ihm dirigiert wissen, und er lehnt ab; Micks Dauer-Hauptdarstellerin Brenda Morel, dargestellt von Jane Fonda, konfrontiert den Schreiber mit der Information, dass seine Altersarbeiten schlecht waren, und steigt aus dem Projekt aus. Beide Männer reflektieren sich und ziehen Konsequenzen – jeder seine, mit teilweise schockierenden Auswirkungen.
An den Rand stellt Sorrentino allerlei Figuren, die mehr sind als nur Stichwortgeber. Interessantester Nebencharakter ist der junge Schauspieler Jimmy Tree (Paul Dano), der sich in dem Sanatorium auf eine Rolle vorbereitet, indem er die Senioren beobachtet. Seine Betrachtungen sind reflektiert, und doch enttarnt ausgerechnet die vermeintlich oberflächliche Miss Universum seinen Frust darauf, immerzu auf nur eine seiner früheren Rollen festgelegt zu werden. Sein Pluspunkt ist, dass er ihr souverän Recht gibt. Ein buddhistischer Mönch, ein schweigendes Ehepaar, ein dicklicher Diego Maradona, eine Massagistin mit Ambitionen und Zahnspange, eine junge Escortdame, ein junger Geiger und ein Reigen speichelleckender Jungdramaturgen ergänzen den Reigen. Der Rest der Sanatoriumsgäste bleibt so lange anonyme Staffage, bis Jimmy Tree in seiner geplanten Rolle aufschlägt, als Adolf Hitler nämlich, aber als einer, der mit seiner Funktion als das ultimativ Böse hadert – diese Sequenz muss Sorrentino diebische Freude bereitet haben. Nicht als einzige, trotz aller Ernsthaftigkeit und allen Dramas ist „Ewige Jugend“ gespickt mit grandiosem Humor. Hauptsächlich resultiert der aus den Dialogen, aber Sorrentino streut auch Absurditäten ein, wie man sie etwa von Aki Kaurismäki kennt: Fred dirigiert Kühe, der Mönch landet mit dem Fallschirm.
Typisch für Sorrentino sind die Bilder. Er choreografiert seine Senioren vor dem Schwimmen oder Saunieren, durchbricht seine Ästhetik aber mit angemessenem Humor. Das Sanatoriumsgebäude gibt eine Symmetrie vor, eine Regelmäßigkeit, in der Sorrentino auch seine Figuren arrangiert. Seine Kamera findet ungewöhnliche Perspektiven und begleitet auch die Kurunterhalter auf dem sich drehenden Rondell. Seine vorherigen Filme waren nahezu durchgehend so komponiert, in „Ewige Jugend“ wandelt er das Konzept ab: Zwar startet der Film so rotierend, doch bremst Sorrentino diese Rotation zusehends aus, bis hin zum Stillstand. Das tut der Geschichte gut und mindert nicht die Ästhetik.
Paloma Faith ist übrigens nicht die einzige, die sich selbst spielt. Auch Sumi Jo, Mark Kozelek und The Retrosettes treten als sie selbst auf. À propos, auch die Musik ist exorbitant; neben David Byrne und Godspeed You! Black Emperor ist der Score von David Lang eine akustische Entsprechung der Bilder. Die zitiert der Regisseur gern auch mal bei seinen Vorbildern, allen voran – wie schon in „La grande bellezza“ – natürlich Federico Fellini, aber auch den Monolithen aus „2001: A Space Odyssey“ kann man etwa in der Kletterwand wiedererkennen.
Aber ach. Es gibt so viel zu entdecken in diesem Film, so viel zu bewundern, so viel im Nachhinein aufzuzählen, dass jede Beschreibung dem Werk nicht gerecht werden kann. Also kurz: „Ewige Jugend“ ist ein Meisterwerk, das vierte in Folge von Paolo Sorrentino. Danke dafür.