Von Guido Dörheide (07.07.2024)
Ich mag nun mal keinen Metalcore. Dieses Gegrowle, abgewechselt mit Klargesang, und darüber immer der Versuch, so hart wie nur irgendwas zu klingen, nimmt mich nicht mit. Von nirgendwo und keine Stelle nach hin. Manchmal muss ich aber Ausnahmen machen, und Erra aus Birmingham (hihi, wie Sabbath) aus Alabama (OK, doch nicht wie Sabbath) sind so ein Fall. Vielleicht, weil sie in meinen Augen nur sehr wenig Metalcore und sehr viel Prog Metal machen. Also Djent mag ich (jahaa, ich weiß, Djent is not a genre…), und auch diesen kriegt man bei Erra viel zu hören. Der Gesang ist sehr metalcorig, mit den verzerrten Passagen habe ich keine Probleme, aber auch der Klargesang, wie zum Beispiel im zweiten Song des Albums, „Rumor Of Light“, ist erträglich und sogar gut. Die Stimme gefällt und J.T. Cavey am Gesang macht eigentlich alles richtig. Er lehnt sich mit Schmackes rein, und dazu arbeiten sich seine Mitstreiter am modernen Metal ab, dass es eine Freude ist.
Nachdem die ersten drei Stücke ordentlich losgeballert sind, kommt „Blue Reverie“ langsam und melodisch um die Ecke und lässt dabei auch die Härte nicht missen. Zwischen allem Metal tauchen immer wieder elektronische Elemente auf, dann wieder ein aggressives Growling, auf einmal sehr poppiger Gesang, wuchtige Bässe und Schlagzeuge, abgehackt palmgemutete Gitarren und der wirklich überzeugende Growlgesang, der sich nicht wie Death Metal vor 30 Jahren, sondern frisch und neu anhört, am Besten hören Sie mal in „Slow Sour Bleed“, das fünfte Stück des Albums, rein, denn dort kriegen Sie alles gehört, was Erra in meinen Augen (und Ohren) ausmacht.
Auf „Glimpse“ wird dann nochmal warm und angenehm drauflosgemostet, das Stück baut sich langsam auf, die Gitarren sind eine echte Kopfhörerhörempfehlung und Cavey bellt zunächst verärgert herum, um dann in bester Coldplaymanier den sanften Sänger zu geben, der er glücklicherweise nicht ist. Und dann djented der Song munter seinem Ende entgegen, quietschende Hintergrundgitarren nicht auslassend. Vor dem Ende schmalzt dann nochmal der Klargesang auf die Hörenden ein, aber auch der kann hier nicht mehr viel kaputtmachen.
Und dann kommt „Past Life Persona“ und ich muss so ziemlich alle liebgewonnenen Vorurteile über Bord schmeißen: Zunächst ertönt ein Synthesizer, dann Bass und Schlagzeug nebst Gitarre, aber saumäßig basslastig dass Ganze. Und dann gibt Cavey klargesangsmäßig wirklich alles, total gefühlvoll, stadionpoppig und den ganzen Scheiß, und es nervt trotzdem nicht. Ein Lied, um Feuerzeuganimationen auf den Smartphonedisplays in die Höhe zu halten. Dieser Song ist wirklich so mitreißend (und kurz vor der Dreiminutenmarke ertönt dann wirklich nochmal für wenige Sekundenbruchteile ein gutturaler Growlgesang), dass ich beschließe, Erra fortan alles zu verzeihen, angefangen mit dem Genre, in dem sie beheimatet sind. Was sie mir anständigerweise zurückzahlen, denn das folgende „Crawl Backwards Out Of Heaven“ beginnt gleich so groovig-djentend mit einer wunderschönen quietschenden Gitarre im Hintergrund, dass mir die Band im zweiten Teil des Songs auch die Zweitligafußballresultate, gelesen vom Sänger von Nickelback, präsentieren könnten, ohne dass ich ihnen böse wäre. Der Song bleibt so gut, wie er von Anfang an war. Und sorry, Chad Kroeger, aber ohne ab und zu mal einen Nickelback-Vergleich geht es einfach nicht.
Also hier nochmal kurz zusammengefasst: Metalcore mit viel Prog und Djent und einem Klargesang, der erträglich ist – wer damit klarkommt, sollte gerne mal Erra hören.