Von Matthias Bosenick (14.03.2024)
Was wäre die Kultur ohne Hans-Peter Lovecraft! Mit dem instrumentalen Erich Zann Ensemble aus Mainz und dessen Debüt „Bieber Sessions“ nähert sich eine neue Band dem Horrormeister an und generiert eine schwer zu kategorisierende, aber wohlklingende Musik, ganz nach dem Vorbild aus der Kurzgeschichte „The Music Of Erich Zann“. Der titelgebende Bieber indes ist nicht der Justin, sondern das Örtchen bei Offenbach, in dem das multipel besetzte Ensemble sein Album aus Jazz, Pop, Psychedelik und anderem Eigensinn einspielte. Ein Blick aus dem Fenster während des Musikgenusses dürfte dennoch folgenlos bleiben, und das ist auch ganz gut so.
Sanft shuffelt das Schlagzeug, milde klingen Synthies an, behutsam gibt das Saxophon eine geloopte Melodie vor. Man merkt dem Opener „Brown Rice“ nicht an, dass er fast neun Minuten lang diese Stimmung ungefähr beibehält. In „Dröhnung“, fast zwölf Minuten lang, gesellen sich leichte spukige Schlaggeräusche zur Musik, die sich inzwischen vom Dreampop weg in Richtung Jazz bewegt. Die Strukturen sind weniger vertraut, das Unheimliche aus den Hape-Lovecraft-Geschichten hält dezenten Einzug. Der warme Soundteppich ist deiner fragmentarischen Tapete gewichen, die von krakeligen Saxophonen übertüncht wird. Nein, so richtig gemütlich ist der Track trotz der gefälligen Zutaten nicht mehr; die Spannung steigt, der Track wird zum kryptischen Soundscape, zur wundervollen Albtraumreise – und dann zum bratzigen Indierock im Countryrhythmus, mit Tablas und mit solierender E-Gitarre.
Das siebenminütige „La Thébaide“ gerät eher zum psychedelischen Freak Folk, ganz leise dargeboten indes, der sich in Richtung Weltmusik entwickelt, mit einem Saiteninstrument, das zunächst offen lässt, ob es sich in seiner Melodie an nordamerikanischer oder orientalischer Folklore orientiert. Ein Fahrstuhlmusikrhythmus bringt den Track in Form und alsbald auch in Schwung; das Orientalische gewinnt inzwischen haushoch, die Dunkelheit ist gewichen. Der ebenfalls siebenminütige „Pan Teutonia Express“ ist wahrhaftig einer, mit dem Beat des Krautrock. Ein warmes Pulsieren liegt unter allem, das Stück groovt und das Saxophon zum dubbigen Unterbau winkt in Richtung Automat. Im letzten Drittel nimmt der Track beschwingte Fahrt auf und bekommt mit den satzartig gespielten Saxophonen einen jazzigen Big-Band-Charakter. Zum Abschluss des Albums erfährt der Opener eine um die Hälfte gekürzte Reprise, die allerdings mit einem flotten Schlagzeug garniert ist, das dem Track einen mächtigen Schub gibt, auch ohne explosiver zu werden.
Dem Erich Zann Ensemble steht Bassist Frank Incense vor, der hauptsächlich bei The Sun Or The Moon spielt, einer Neo-Krautrock-Band – das erklärt die nämlichen Einflüsse auf die „Bieber Sessions“. Die Incense mit wechselnden Musikern in Jam-artigen Sessions einspielte – und, anders als beim Projektnamen zu erwarten, nicht auf Howard Phillips Lovecrafts Geschichte errichtet, sondern auf dem „psychedelic free jazz piece“ (so die Info) „Brown Rice“ von Don Cherry aus dem Jahr 1975. Zum Ensemble gehören laut Betreutes Proggen: die Saxophonisten Daniel Reck und Christoph Heimbach sowie Schlagzeuger Niclas Ciriacy, zu den Gästen Gitarrist Oli Rüger, Sängerin Kerstin Pfau und Tabla-Spieler Ajay Desai.
Erich Zann also, der Violinist mit der unbeschreiblichen Musik, hinter dessen Fenster die Apokalypse lauert. Die Geschichte von H.P. Lovecraft ist inzwischen über 100 Jahre alt und begründete das Naturgesetz, dass man sich als musizierender Mensch ihres Titels wegen damit auseinanderzusetzen hat. „The Music Of Erich Zann“ ist daher Albumtitel bei Mekong Delta, Forma Tadre, Alhazred, Bal-Sagoth, 21 Gramms oder Theologian + Skincage, übersetzt als „La Música de Erich Zann“ bei Demonia Secta. Andere verarbeiten das Thema im Titel, etwa „Window Of Erich Zann“ von Zinc Room, „The Unpublished Notebooks Of Erich Zann“ von Korperschwache, „Erich Zann/1“ von Fiat600, „El Día que Erich Zann Rompió su Viola“ von El Hombre Viento oder auch einfach nur „Erich Zann“ von LSDDR. Es gibt Musiker und Bands, die sich schlicht Erich Zann nennen. Oder La Música de Erich Zann. Oder so etwas wie Erich Zann Septett, Elegy For Erich Zann, Erich Zann Excess. Und jetzt eben auch Erich Zann Ensemble. Die meisten Acts und Alben sind irgendwo zwischen Dark Ambient, Industrial und Noise anzusiedeln, im Zweifelsfalle Metal oder irgendwas Gruftiges. Das Erich Zann Ensemble sticht da deutlich heraus und ist weit weniger düster und dunkel gehalten als die Musik der Mitbewerber, erfüllt aber die Lovecraft‘sche Annahme von nicht zu beschreibender, eigensinniger Musik.
PS: Wann erscheint endlich „Hape Kerkeling liest H.P. Lovecraft“?
[Edit 16.03.2024] Vol vergessen: die Hardcore-Band Zann, den hp-Drucker und HP Baxxter.