Von Matthias Bosenick (06.10.2021)
Da freut man sich erst groß über die positive musikalische Entwicklung der Synthiepopper Erasure, da kommen sie mit einer Remix-Sammlung ihres jüngsten Albums „The Neon“ um die Ecke, das erschreckenderweise nahezu frei von Experimenten eine Allianz mit dem Schlager eingeht. Selbst die sehr wenigen populären Namen retten diese Doppel-CD nicht, immerhin der neue Song „Secrets“ überzeugt mit seinem im klassischen Achtziger-Erasure-Sound gehaltenen analogen Synthiepop. Neue Hörer erschließt man sich damit abseits des ZDF-Fernsehgartens eher nicht.
Bestenfalls clubby geht es in manchen Mixen zu, Vier auf den Flur mit dezenten Samples der Originaltracks des 2020er-Albums „The Neon“. Andere Remixer entschlacken die Originale und strecken sie in Richtung repetetive Langeweile; den Geist der klassischen Maxi-Version erfassen diese Remixe leider nicht, nicht einmal der für „Nerves Of Steel“ von Sänger Andy Bell mit Produzenten Gareth Jones. Ganz schlimm ist es, wenn die Anfassenden den Synthiepop so anwenden, wie sie ihn aus dem kontemporären Mainstream kennen, und der ist, anders als der der experimentellen Anfangsphase des Genres, erschreckenderweise schlageresk. Man hört also die billige Weiterentwicklung der ohnehin schon billigen Neunziger-Großraumdisco.
Wir sprechen hier von Erasure. Klar, das Duo war schon immer in den Charts verankert. Doch seit dem Hit „Always“, der in den Neunzigern einen downbeatigen Kontrapunkt zur furchtbaren Eurodacezeit setzte, gingen die Verkaufszahlen und die Popularität der beiden Musiker zurück. Live beglücken sie zwar immer noch ein Achtziger-Nostalgie-Publikum, die Kunst hinter den alten Hits erkennen diese Zuhörer vermutlich weniger als den Bezug zur eigenen Biografie. Wenn man nun also an einem solchen Punkt seiner Karriere angelangt ist – warum verpflichtet man dann nicht Leute für sein Remix-Projekt, die musikalisch auch etwas zu sagen haben, und sichert sich wenigstens den Respekt der Szene?
Da hilft es auch nichts, wenn John „J-C“ Carr und Bill Coleman in ihrem „808 Beach Extended Remix“ von „No Point In Tripping“ den berühmten Bassdrumwirbel von New Orders „Blue Monday“ unterbringen, der Mix ist weder Achtziger noch sinnvolle Zwanziger, also weder Fisch noch Fleisch, und damit für diese Compilation leider repräsentativ. Ist ja schön und gut, Newcomer zu fördern, aber wenn die es nicht draufhaben, ist damit keinem geholfen. Armageddon Turk? Matt Pop? Hifi Sean? Mark Smith? Theo Kottis? Brixxtone? Jener kennt Erasure offenbar nur aus dem Neunziger-Kontext, seine zickig-zackige Housepop-Version von „Careful What I Try To Do“ klingt zumindest danach – und nicht nach „Synthwave“, wie er den Remix nannte. Und der ist dann auch noch ein zweites Mal vertreten, als Dub, über den Lee „Scratch“ Perry laut gelacht hätte.
Zu den guten Mixern gehören nicht viele, leider. GRN kann man als ersten anführen, der „Shot A Satellite“ tatsächlich mit knarzenden Synthies und klassischen Achtziger-Effekten veredelte. Als Dogmatix empfahl sich der hinter dem Akronym steckende Glen Nicholls für Erasure bereits mit seiner Version von „Phantom Bride“ sowie diverse Male als GRN oder Future Funk. Eher minimalistisch und damit sehr eigen halten Beg, Steal Or Borrow ihren „Stella Polaris Remix“ von „Tower Of Love“, mit downbeatigen Bassläufen und chilligen Beats; man hört den skandinavischen Sound heraus und wünscht sich, wenn schon trendy, dann bitte einen Anders Trentemøller unter die Handanlegenden.
Auch schön ist der „Heaven Mix“ von Kim Ann Foxman, einst bei Hercules & Love Affair, des neuen Stücks „Secrets“. Sie schmeißt ihren 808 an und transferiert den Song in einen chilligen und authentischen Acid-House-Track. Das Hamburger Duo Can Love Be Synth überträgt „No Point In Tripping“ in den originalgetreuen Sound von Erasure, circa „The Circus“, mehr noch als Erasure ursprünglich selbst. Zum Schluss dürfen nochmal zwei Achtziger-Wegbegleiter ran: Gareth Jones macht aus „Nerves Of Steel“ eine Art Ambient mit Gesang und OMD-Sänger Paul Humphreys aus „Kid You’re Not Alone“ eine kaum weniger chillige Ballade, die aber absolut gar nicht an die alten OMD erinnert. Geht okay, nervt nicht. Die letzte Viertelstunde gehört Maya Bouldry-Morrison, die unter dem Alias Octo Octa den „Secrets“ eine trancige Unendlichkeit mit angenehmer Achtziger-Schlagseite aus musikalischen Elementen quer durchs Jahrzehnt andichtet; „Psychedelic Visions Disco Dub“ ist als Bezeichnung gut getroffen.
Mehr Spreu als Weizen also, eine deutlich schlechtere Auswahl an Remixern als bei früheren Projekten dieser Art. Dabei haben Erasure selbst auf dem eigenen Label deutlich attraktivere Mitkünstler, als hier versammelt sind. Eine EP mit sechs Stücken wie weiland bei „Storm Chaser“, „Phantom Bride“ oder „Erasure.Club“ hätte völlig ausgereicht.