Von Matthias Bosenick (26.10.2020)
So neonbunt, wie Erasure ihr neues Studioalbum selbst anpreisen, ist es gottlob gar nicht ausgefallen: Ein fröhlicher Kontrapunkt zu düsteren Zeiten soll es sein, und die Helden des Sythiepops der Achtziger wären dies nicht, wenn sie auch damals schon nur fröhliche Musik gemacht hätten. Dem guten Synthiepop liegt immer ein gerüttelt Maß an Melancholie inne, und so verhält es sich mit „The Neon“ auch, und das steht dem englischen Duo einfach mal so richtig gut. Kein Retroalbum, kein cheesiges Fremdschämen, nicht mal House oder aktuelle Chartselemente, einfach Erasure ohne Schnickschnack, mit entspannten Sounds und einnehmenden Melodien; allerdings wären ein paar mehr mutige Experimente schick gewesen.
Man muss indes auch festhalten, dass es mit der Wiedererkennbarkeit der zehn Songs nicht sonderlich weit her ist. Dafür sind Vince Clarke und Andy Bell über die Jahrzehnte offenbar zu verhaftet in einer begrenzten Auswahl an Arrangements und Melodien. Die sind zwar schön, aber alternierend willkürlich und bereits von ihnen halbwegs bekannt. Aber das kann man auf „The Neon“ auch wohlwollend ignorieren, weil die Songs trotzdem gut sind, weil sie einen angenehmen Fluss ergeben, weil sie gut zusammenpassen, weil sie unaufdringlich sind und trotzdem spannend genug, um das Ohr aufmerksam an sich zu binden. Nach einigen Durchläufen behält man dann doch ausreichend Songs im Kopf, nicht zuletzt „Hey Now (Think I Got A Feeling)“, und das ist nur der Auftakt; das allerhöchstens latent kitschige „Fallen Angel“ setzt sich ebenfalls gut fest.
Eine Stärke des Duos sind nicht nur die rhythmischen Discofox-Popsongs, sondern auch die Balladen, von denen gleich mehrere auf dem Album enthalten sind. Hier spielt Vince Clarke seinen analogen Synthiepark so richtig aus und legt sich Andy Bell stimmlich fast noch einnehmender ins Zeug als bei den hymnischen Uptemponummern. Clarkes Musik knarzt und pluckert, wie auch schon bei Depeche Mode und Yazoo und wie zu Frühzeiten von Erasure. Allein, die Songs haben heute einen ganz anderen Aufbau, der Sound ist minimalistischer als in den Achtzigern; da ist in „The Neon“ mehr von VCMG enthalten, dem Minimaltechnoprojekt mit Martin Gore, als von „The Circus“, einem der Hit-Alben des Duos, mit Songs, die sich im Sound weit mehr unterscheiden als die auf dem neuen Werk.
Damals war weniger gepluckerte Fläche, damals war mehr Raum für Versuchsanordnungen mit den Gerätschaften, mehr Einfallsreichtum, mehr Überraschung, mehr Experiment. Noch am ehesten erinnert „The Neon“ an das selbstbetitelte Album von 1995, also nach Neunzigern, nicht nach Achtzigern, trotz des authentischen Instrumentariums, nur, dass auf „The Neon“ eben die Experimente fehlen, die auch „Erasure“ so außerordentlich besonders machten; eines der besten, wenn nicht das beste Album des Duos überhaupt. „The Neon“ ist mithin mitnichten ein analoger Rückblick analog zu den eigenen Anfängen, dafür sind die Songs einfach nicht so divers komponiert und arrangiert, bei weitem nicht so spannend wie damals.
Trotzdem, „The Neon“ lässt sich gut hören, es ist sogar dichter am Vorgänger „World Be Gone“ als erwartet, das ja auch schon mit seiner melancholischen Grundstimmung punktete. Knallersongs wie damals machen Erasure einfach nicht mehr, der letzte catchy Chartshit dürfte „Always“ aus dem Jahr 1994 gewesen sein, also dem Jahr vor dem besten Album. 18 Studioalben, und Erasure machen wieder Spaß, da gab es auch andere Zeiten.