Von Guido Dörheide (05.04.2023)
Enslaved verstehen es wie kaum eine zweite Band, ihre Black-Metal-Wurzeln nicht zu verleugnen und dennoch unter Zuhülfenahme von Prog und gerne auch mal Thrash ein sehr warmes Klangbild zu erzeugen, das den Hörenden vermittelt: „Es ist Enslaved, hier kann Euch nichts passieren!“
Das manifestiert sich bereits, bevor das erste Stück „Behind The Mirror“ noch richtig begonnen hat: Es ist eine Art Nebelhorn zu hören, und Musikanten, die eine Art Nebelhorn verwenden, zünden keine Kirchen an (sorry, liebe Lesenden, dass ich nicht müde werde, dieses alte, tote Black-Metal-Pferd zu reiten, es ist aber auch zu putzig. Ein putziges, totes Pferd.).
Die Texte auf „Heimdal“ sind durchweg düster, aber nicht verängstigend. Beispiel: „I am leaving this body behind – I am leaving this body to die. I am leaving these songs behind – I am leaving our songs to die.“ („Congelia“). Schlimmer wird es nicht, der Titel „Heimdal“ hat irgendwas mit der voll süßen und manchmal leicht ängstlichen Katze meiner Liebsten, Odin, zu tun, mehr mag ich mich nicht mit der zugrundeliegenden nordischen Mythologie beschäftigen, und um großen Spaß an dem Album zu finden, braucht es das auch nicht.
Wenn dann „Behind The Mirror“ nach der Stelle mit dem Nebelhorn so richtig begonnen hat, machen Enslaved ihre Black-Metal-Vergangenheit gleich so richtig vergessen: Das Eingangsriff tönt doomig-sabbathoid, und dann setzt ein Gesang ein, der mich wohltuend an Mastodon erinnert, während Gitarre, Bass und Schlagzeug schöön tief und melodisch vor sich hin bollern und auf einmal ein Keyboard einsetzt, hernach ertönt Grutle Kjellsons Trademark-Krächzen, das dann wiederum anschließend die Bühne erneut dem mastodonähnlichem Klargesang, der sich mit dunklen Growls abwechselt, überlässt. Anschließend gallopiert die Rhythmus-Fraktion stoisch vor sich hin, um ein Synth-Solo zu begleiten, das eine sehr schöne Stimmung erzeugt, dann wieder der mastodonische Gesang. Mehr Abwechslung braucht es auf einem ganzen Album nicht. Und als ob sie diesen Gedanken gehört hätten, schränken Enslaved ihre stilistische Vielfalt auf dem zweiten Stück „Congelia“ eher auf den – nicht klassischen, sondern durch gekonnte Synth-Einsätze sehr progbetonten – Black Metal ein.
Das Album hat bei mir schon jetzt gewonnen und ist ein ganz heißer Anwärter auf mein persönliches Metal-Album des Jahres (wobei es sich hier gegen Haken, Periphery, Ahab, Obituary und andere durchsetzen muss, und wer weiß, was noch alles kommt).
Mit „Forest Dweller“ setzen Enslaved dem bisher Gehörten nochmal einen obendrauf: Auf anderthalb einzelne Akustikgitarrenakkorde folgt ein elektrisches, leicht orientalisch anmutendes Riff, darauf ein betörender Klargesang. Bass und Gitarre mäandern umeinander herum, dann wieder dieser Gesang, also wenn das so bleibt… NEIN! Bleibt es nicht. Ab Minute 2:20 donnern Enslaved los, Grutle Kjellson keift, die Gitarren thrashen und solieren im Wechsel mit der Orgel. Und das alles zu einem sowas von vorantreibenden Rhythmus, dass es eine wahre Freude ist. Ungefähr bei 4 Minuten setzt ein Solo ein, anschließend fällt die Stimmlage um einige Oktaven, eine Akustikgitarre kommt hinzu, ein warmer Bariton fängt das Ganze auf – Gotik, Baby!
„Kingdom“ beginnt mit einem schönen Riff, das sowohl im Metal als auch im Gothic Rock beheimatet sein könnte, das Tempo ist deutlich höher als zuvor, dann kommt der Gesang: Langsam, theatralisch, wieder von schnellerem Riffing aufgefangen, und dann klingt Grutles Gesang wieder krächzend, er würde aber auch in den düsteren Spielarten des Indie-Rock eine gute Figur machen, um dann wieder vom dunklen Klargesang und dann von einem düsteren Geraune abgelöst zu werden. Dazu ertönen progressive Riffs – Hammer, hier haben wir Abwechslung, Originalität und das absolute Gegenteil von Langeweile. Knapp 6 Minuten verrinnen so wie im Flug. Oder wie im Ritt auf Cowboy Odins putzigem Pferd mit den acht Beinen, nur ohne dabei Angst haben zu müssen. Jolly Sleipnir, sage ich mal.
„The Eternal Sea“ fängt mit einem sphärischen Elektro-Sound an, baut sich dann langsam mit Schlagzeug und danach auch mit den Saiteninstrumenten auf, wirkt so, als müsse die Melodie erst durch eine semipermeable Membran oder irgendwas Ähnliches hindurchgepresst werden, um sich ab Minute 2 vollends entfalten zu können; sobald nämlich der (wieder einmal über jeden Zweifel erhabene Klar-)Gesang einsetzt. Bis Minute 5 dachte ich, es mit einem schönen Zwischendurchverschnaufsong zu tun zu haben, dann aber verfinstert sich die Gitarre, Grutle holt wieder seine Blackmetalartikulation aus dem Werkzeugkoffer des Progmetal, die Geschwindigkeit verdoppelt sich, um alsdann, die Hörenden aus dem Schlaf gerissen habend, wieder zu entschleunigen und einem hymnischen Klargesang Platz zu machen. Dann wieder Elektro-Sounds, dann Schluss, wieder sind Siemenhalbminuten vorbei.
Mein persönliches Highlight auf „Heimdal“ folgt dann mit dem bereits vorab 2021 als EP veröffentlichten „Caravans To The Outer Worlds“. Der Titel ist verwirrend, immerhin haben wir es hier mit Norwegern zu tun und nicht mit Niederländern. Windgeräusche und ein langsam klappernder Bass am Anfang, nach und nach baut sich das Stück auf und dann wird temporeich, aber nicht aggressiv oder irgendwie schmerzend „losgemostet“, wie es der Herausgeber dieser Seiten wohl ausdrücken würde. Riff und Solo vermischen sich, dann wendet sich der Song ins Thrashige, Grutle keift, das Tempo ist vorwiegend zügig, auch wenn immer wieder langsamere Klargesang-Passagen eingewoben sind, schnell wird es wieder schnell, coole Soli inklusive. Sowas kann man mal als kleine Erfrischung für zwischendurch dazwischenwerfen, möchte man denken, aber Enslaved walzen diese Idee auf knapp 7 Minuten aus und es langweilt zu keiner Sekunde.
An- und das Album abschließend gehen Enslaved dann bei und setzen dem soeben von mir postulierten Highlight noch ein weiteres obendrauf: Nämlich das Titelstück „Heimdal“, das mit einem stimmungsvollen Bass-Synth beginnt, um dann mit einem Riff aufzuwarten, für das Candlemass vermutlich töten würden. Alsdann krächzt Grutle Kjellson, dann wieder dieses Riff, dann wieder Krächzen. Herrlich! Wenn es so weiterginge, wäre ich schon mehr als glücklich, stattdessen folgt dann aber ein mehrsekündiges Solo, wie es unspektakulärer und wirkungsvoller nicht sein könnte, dann pling pling, krächz krächz, brabbel brabbel, dann swingendes Schlagzeug und NWoBHM-Riffing, man hört Enslaved die Freude beim Spielen dieses Stücks wahrhaft an, gegen Ende setzt nochmal dieser Mastodon-Gesang ein, das Riff rifft unverdrossen weiter – so könnte es von mir aus ewig weitergehen, aber das tut es nicht: Am Ende wieder kurz eine Art Nebelhorn, flickernde Synths und dann Schluss. Ein wahrhaft beeindruckendes Album einer ganz hervorragenden Prog-Metal-Band mit Black-Metal-Wurzeln.