Von Matthias Bosenick (08.05.2016)
Dem Wuppertaler eine Chance geben: Nachdem sich Tom Tykwer in den Neunzigern als experimentell-kreativer Indie-Filmer einen guten Ruf erarbeitete, driftete er spätestens mit der Patrick-Süskind-Verfilmung „Das Parfum“ an die Multiplexkassen. Die Informationen über die Romanverfilmung „Ein Hologramm für den König“ nun erweckten die verschütt gegangene Neugier an dem Regisseur. Die befriedigt der Film indes nur (oder auch: immerhin) zur Hälfte. Gute Dialoge und halbdokumentatorische Clash-of-Culture-Ansichten treffen auf eine willkürliche Handlung; großes Lob trifft auf großes Wehklagen.
Wenn ein Tom Hanks, der sich ganz offensichtlich in der neuen Rolle des alternden Charakterdarstellers gefällt, einen im Lebensscheitern begriffenen ebenfalls alternden Manager darstellt, der von seinen Chefs zur Rehabilitation im Wortsinne in die Wüste Saudi-Arabiens geschickt wird, um dort auf erhebliche Unterschiede zu seiner vertrauten Kultur zu treffen, erinnert das nicht selten an Bill Murray in „Lost In Translation“. Im Deutschen teilen beide sogar den Synchronsprecher, den jüngst verstorbenen Arne Elsholtz. Als Alan Clay müht sich Tom Hanks mit einem Jetlag ab, trifft auf unzuverlässige Verhandlungspartner auf Seiten seiner Gastgeber und erfährt dank seines kontaktfreudigen Chauffeurs Yousef einiges über Sitten und Gepflogenheiten in Saudi-Arabien. Parallel laboriert er an einer hässlichen Scheidung und den Vorwürfen, nicht dazu in der Lage zu sein, seiner Tochter das Studium zu finanzieren; deshalb der Job in der Wüste. Der sieht vor, dass seine Firma dem Saudischen König ein holographisches Telefonsystem für eine geplante Wüstenstadt verkauft; daher der Titel. Außerdem plagt Adam ein dickes Ei unter der Haut auf seinem Rücken.
Diese ganzen Elemente zeigt Tykwer wie ein Versatzmosaik ineinander verschachtelt und nebeneinander. Dezent sickern Kritiken an Saudischen Umständen (Todesstrafe, Sklaverei) und dem modernen Kapitalismus (alles wird nach China verhökert) durch. Auch Adams Selbstkritik im Umgang mit seiner Tochter findet zusehends mehr Raum. Ansonsten sieht man Adam zumeist mit Leidensblick durch die leeren Wüstenkulissen irren. Gelungen sind die wenigen Dialoge mit Yousef: „Mögen Sie Chicago?“, fragt der. „Nicht im Winter.“ – „Nein. Die Band.“ Oder Yousefs Aussage: „Gewerkschaften haben wir nicht. Wir haben Philippinos.“ Auch die Email- und Echt-Dialoge mit Adams Ärztin Zahra (Sarita Choudhury) sind fein, respektvoll, schlüssig. Es macht Spaß, Adam zuzuhören und ihn verbal punkten zu erleben, auch in Bezug auf seine Kooperationspartner in spe. Ein paar Bilder sind eindrucksvoll, aber letztlich gibt die Wüste nicht richtig viel her. Die zwischengeflochtenen Rückblicke oder Traumsequenzen wiederum haben etwas angenehm Surreales.
Und dann. Die Systemkritik verlässt nie den Wohlfühlsessel für den Kinobesucher. Alles geht immer gut. Das hat auch seine Vorteile: Adam ist nie der Volltrottel, trotz seines offensichtlich vergurkten Lebens und der Schwierigkeiten, sich kulturell zu integrieren. Doch genau das geschieht dann wie beiläufig: Irgendwann spürt man keine Unterschiede mehr, der arabische Lebensraum „unterscheidet sich nur durch einen dünnen Schleier“ vom westlichen, wie Zahra feststellt. Das mag ein schöner Ansatz für das Verständnis zwischen den Kulturen sein, nimmt dem Film aber seinen Aufhänger. Das macht sich dann leider auch viel zu deutlich bemerkbar: Als Adam einigermaßen zurechtkommt und sich an seinen Fronten zu behaupten weiß, fängt er eine Affäre mit Zahra an. Die geht dann mal eben mit ihm nackt tauchen, poppen und dann zusammenleben. Ende. Die losen Fäden der vorherigen Geschichten handelt Tykwer in kurzen Einspielern ab. Abspann. Und Unzufriedenheit beim Betrachter.
Der Film erweckt den Eindruck, Tykwer habe beim Ausformulieren der Komponenten der Mut zum Biss verloren. Seine Weltsicht hat er ja angerissen, den Rest denkt sich der aufgeklärte Zuschauer und der Unaufgeklärte bleibt dies auch. Dann zeigt man eben noch ein paar Brüste und Friede, Freude, Eierkuchen. Das ist arg enttäuschend: Der Film macht vorher so viel weitgehend richtig (man kann nicht alles aufzählen) und trudelt dann ins Belanglose. Nochmal einen Tykwer gucken? Vielleicht „Lola rennt“, um zu überprüfen, ob sich in 20 Jahren der Blick auf Tykwers Werk verändert hat und nicht etwa Tykwers Werk selbst.