Von Guido Dörheide (16.11.2022)
Dry Cleanings Debut „New Long Leg“ war eines der absoluten Großereignisse der alternativen englischen Musik des Jahres 2021. Unglaublich guter, beiläufiger und dennoch unter die Haut gehender und im Kopf bleibender psychedelischer Gitarren-Indierock, kombiniert mit Florence Shaws einzigartiger Art, ihre Lyrik weniger zu singen, sondern eher lesend vorzutragen. Das hat mich im vergangenen Jahr sehr vom Hocker gehauen und umso gespannter war ich, ob es der Band gelingt, dieses Niveau mit dem zweiten Album halten zu können (mit dem ich so schnell gar nicht gerechnet hätte). Zu erwarten, dass Dry Cleaning es gar übertreffen, wäre vermessen gewesen.
Als „sprechgesang“ wird Shaws Vortragsstil in Teilen der englischsprachigen Presse (Guardian, NME) charakterisiert – es gibt also neben „Weltschmerz“, „Blitzkrieg“ und „Kindergarten“ noch mindestens ein weiteres deutsches Wort, das Einzug in die englische Sprache gehalten hat. Der deutsche „Rolling Stone“ entblödete sich gar, von „Rap“ zu sprechen. Ohne Kommentar, sogar ich habe schon bessere Witze gemacht. Nicht mal an sehr untypische Rapper wie The Streets oder die Sleaford Mods erinnert das, was Florence Shaw dort mit dem Mikrofon veranstaltet. Irgendwo las ich auch einen Vergleich mit den legendären Young Marble Giants, aber auch dieser bewegt sich so anmutig durch die Landschaft wie weiland Long John Silver, ist aber zumindest mehr als schmeichelhaft.
Und fürwahr – hinter YMG müssen sich Dry Cleaning auch nicht verstecken. Eine Band, die wirklich sehr nach sich selbst klingt und die Kälte und ein bestimmtes warmes Gefühl gleichzeitig zum Hörer zu transportieren vermag.
Dry Cleanings Musik wird dominiert von einem wirklich dominanten und sehr coolen Bass. Der erzeugt die Wärme. Und auf der anderen Seite steht Florence Shaws stimmliche Darbietung. Sie singt tatsächlich nicht, sie spricht, aber mit einer Betonung, die oft an eine Autorenlesung erinnert und manchmal einem hypnotischen Singsang, der aber nie wirklich zu einer Melodie werden will, ähnelt. Das klingt nicht direkt verzweifelt, aber nachdenklich, verloren, erzeugt ein wenig Kälte, und trotzdem würde man Shaw, träfe man sie in einer Bar, ein Getränk nach dem anderen ausgeben, nur damit sie noch bleibt und man weiter dieser Stimme zuhören kann. Ich tue mich schwer, zu beschreiben, wie sie diese Stimme einsetzt. Irgendwie nicht dominant, nicht laut, aber auch nicht auf die Art leise, dass man als Zuhörer/in andauernd nachfragen muss, „Florence, was hast Du gerade gesagt?“ Passiv-aggressiv ist der einzige Vergleich, der mir in den Kopf kommt, den ich aber in keinster Weise negativ meine. Ich habe jetzt was über den „Gesangs“stil gesagt, auf die Instrumentierung gehe ich ein, wenn ich mich gleich gezielt zu einigen Songs äußere – was bei mir zumeist unter den Tisch fällt, ist das Coverartwork. Bei „Stumpwork“ ist es so eklig, dass ich nicht daran vorbeikomme. Das Albumcover zeigt ein bereits benutztes Stück Seife, auf einem Waschbeckenrand liegend, an dem Haare kleben, die das Wort „Stumpwork“ bilden. Nicht einmal das ikonische Type-O-Negative-Albumcover mit Peter Steeles Anus vorne drauf wirkt annähernd so verstörend, und das mit einer Beiläufigkeit, die irgendwie kaum zu fassen ist.
Kommen wir nun zu etwas völlig anderem: Krautnicks kompetente Anspieltipps (kleine Achtsamkeitsübung: Lasst uns kurz gemeinsam erinnern, wie wir seinerzeit in den 90er Jahren die CD-Abteilung von Pressezentrum Salzmann in Braunschweig betraten, dem ebenso charismatischen wie kompetenten Abteilungsleiter eine CD-Hülle entgegenhielten und dieser für uns den Tonträger in den eigens dafür bereitgestellten Anspiel-CD-Player einzulegen und einen Kopfhörer auszuhändigen – nicht ohne uns ungefragt mit Musiktipps zu versorgen („DIE :wumpscut:-BOX IST DA!!!“), auf dass wir uns einen ersten Eindruck vom Album unseres Interesses verschaffen konnten. Und um Olafs Zeit nicht allzu sehr in Anspruch zu nehmen, haben wir damals beim Reinhören nur wenige Tracks für wenige Sekunden angespielt, um dann das Produkt nebst weiterer ungefragter Musiktipps („DIE :wumpscut:-BOX IST DA!!!“) für meistens 29,90 DM zu erwerben. Haaach, those were the days! – Achtsamkeitsübung Ende):
Los geht es mit dem eröffnenden Stück „Anna Calls From The Arctic“: Ein Bass mit einem Hauch von hingehauchter Percussion führt uns ins Album ein – dann Florence Shaw: Der Text besteht aus einzelnen Zeilen, die verwirren und teils verstören, zu den Eingangsinstrumenten gesellt sich ein schwindlig machendes, monotones Keyboard (jahaa – ich weiß – „Tastatur“ ist als Benennung eines Musikinstruments in keinster Weise adäquat…) und alles endet mit „Gym shorts reveal more, more, more, more, more – But it doesn’t change anything“. Wovon singt Shaw da? Unterleibsentblößende Höllenhosen?
Auf „Kwenchy Kups“ werden diverse Tiere abgehandelt und alles endet – nach meinem Befinden – in der Zeile „You can say I don’t give a fuck, dick face“. Man soll ja immer unmissverständlich sagen, was man gerade denkt; Florence Shaw kann das.
Der Bass auf „Driver‘s Story“ erinnert mich dann an die frühen Pixies, ja, die Gitarre sogar auch. Würden sich die Pixies heute so anhören, wenn Kim Deal geblieben wäre und nicht singen müsste, sondern reden dürfte? Daher also 4AD als Plattenfirma…
Danach dann „Hot Penny Day“ – dieser Song ist für mich überhaupt DAS DING auf „Stumpwork“: Ein Wah-Wah-verzerrter Bass eröffnet das Stück, jetzt wird also getanzt!!! Äh – nein, wird es nicht: Florence Shaw beginnt nach dem Bass-Intro mit ihrem distanzierten und kühlen Sprechgesang und erstickt damit jegliche Tanzbewegungen im Keim. Dennoch schaffen es Dry Cleaning, ab Minute 2:15 ein zurückgenommenes und dennoch elektrisierendes Bass-/Gitarre-Synthgeplucker (sorry für dieses abgegrabbelte Wort) auf die Hörenden loszulassen, dass man sich ganz kurz im Madchester der frühen 90er Jahre wähnt, um dann von Florences Gesang wieder in die Neuzeit katapultiert zu werden.
Im darauf folgenden Titelstück „Stumpwork“ ist von Fatboy Slim und und den Chemical Brothers die Rede, ohne dass der Track auch nur ansatzweise nach einem der beiden klingt, aber „Doo-doo-doo-doo-doo“ in dem, was ansatzweise sowas wie ein Refrain sein könnte, ist wirklich wirklich schön.
Das darauf folgende „No Decent Shoes For Rain“ (welch 1 Titel!) beginnt mit einem sehr ruhigen Gitarrengeklampfe, da spielt sich anscheinend irgendwer warm, um dann Textzeilen wie „Let’s smoke and drink and get fucked, I don’t know. Let’s eat pancake.“ rauszuhauen. Sehr schön.
Derlei Momente gibt es noch einige mehr auf „Stumpwork“ zu entdecken, ich hoffe, es ist mir gelungen, mittels weniger und sehr kurz gehaltener Anspielungen Ihr geneigtes Interesse zu wecken – Dry Cleaning haben es verdient.
Und ein vokalismusbezogener Vergleich fällt mir am Ende doch noch ein: Als ich als junger Heranwachsender zum ersten Mal „Goo“ von Sonic Youth hörte, wünschte ich immer, „Tunic (Song For Karen)“, der tieftraurige Song über Karen Carpenter von den Carpenters, mit Kim Gordons Sprechgesang würde nie aufhören. So ähnlich singt Florence Shaw – beispielsweise auf „Gary Ashby“ (ein weiterer Anspieltipp) – und ich freue mich, dass es nun eine Band mit bereits zwei Alben gibt, die diese Art von Gesang nicht aufhören lässt.