Von Guido Dörheide (11.02.2025)
Generalexkulpation vorweg: Der Schreibende dieses Artikels ist weder Dream-Theater-Fan noch -Sachverständiger. Alles Geschriebene beruht auf persönlicher Meinung und solidem Halbwissen. Alsdann, gehen wir es an:
Wenn man sich in den Kommentarspalten der Metalrezensionsheftchen umschaut, fragt man sich, warum man überhaupt Dream Theater hören sollte: James LaBrie ist ein schlechter Sänger, John Petrucci immer lost in Gegniedel, der selbstverliebte Jordan Rudess rückt sich und seine vielen Keyboards immer zu sehr in den Vordergrund, Mike Mangini ist nicht Mike Portnoy. Nun, zumindest sitzt jetzt Mike Portnoy wieder am Schlagzeug, und über den Bassisten John Myung scheint es nichts Negatives zu vermelden zu geben.
Gehe ich also bei und mache mich – als Nicht-Fan, sondern nur Manchmal-ganz-gerne-Hörer – vorurteilsfrei mit dem neuen Songmaterial auf „Parasomnia“ vertraut. Insomnia kenne ich, aber was zum Teufel ist Parasomnia? Und gibt es auch Omisomnia oder Unisomnia? Hier hilft Wikipedia: Parasomnia sind Schlafstörungen. Aha, die bekommt der Fan wahrscheinlich, weil James LaBrie ein schlechter Sänger ist, John Petrucci zu viel gniedelt und „The Shadow Man Incident“ auf einer Länge von über 20 Minuten gefühlt zu 75 % aus Jordan Rudesses Keyboardsoli besteht. Diese spielt er immer dann, wenn Petrucci mal nicht gniedelt, manchmal auch währenddessen, und während all dieser Kapriolen hält James LaBrie die Klappe. Na, das ist doch schon mal besser als Nichts! Wobei ich hier jetzt echt mal eine Lanze brechen muss für James LaBrie (Hammer, oder? Schon viermal „James LaBrie“ geschrieben ohne einen einzigen Weichkäsewitz! Das, meine Damen und Herren, ist wahre Selbstbeherrschung): Im Gegensatz zu damals auf „Images & Words“ klingt sein Gesang inzwischen energischer, aggressiver, teilweise geradezu schneidend, und passt viel besser zu der von ihm seinen Bandkollegen teils urst eitel zur Schau gestellten Virtuosität. Kurz: Er nervt mich hier an keiner Stelle mehr. „Images And Words“ ist sicher das originelle Album, nicht zuletzt, weil DT damals noch was Neues war und sich selbst nicht wiederholen oder zitieren konnte, aber LaBries Gesang war damals um ein Vielfaches schmieriger und scheußlicher und macht das – bei vielen als bestes DT-Werk geltende – Album für mich damit fast unerträglich.
Also ziehe ich lieber das unmittelbare Vorgängerwerk „A View From The Top Of The World“ aus dem Jahr 2021 zum Vergleich heran. Auch hier hat sich LaBrie gesangsmäßig besser im Zaum als auf seinem DT-Einstiegswerk, und hier trommelt noch Mike Mangini, so dass man einen direkten Vergleich zwischen seiner Arbeit und der seines Vorgängers und Nachfolgers Portnoy hat. Ansonsten sind beide Alben ähnlich: Ausufernd (unter 1:10 Std. Länge geht bei DT anscheinend gar nix), melodisch-verspielt (Rudess), gniedelig (Petrucci), angenehm härter als „I&W“, aber nicht wirklich hart und aus meiner Nicht-Fan-Sicht weder wiedererkennbar noch schlecht. Portnoys Schlagzeug gefällt mir ausgezeichnet, natürlich ist er technisch brillant, natürlich ist er schnell, aber das ist Mangini auch, nur klingt Portnoy in meinen Ohren organischer und weniger wie eine Maschine.
Beim Einstieg lässt sich „Parasomnia“ mehr Zeit als „AvftTotW“ und beginnt auf „In The Arms Of Morpheus“ erstmal mit Sirenengeheul, Türenknarren und danach einem ruhigen Piano, anstatt gleich voll auf die Zwölf loszuballern wie 2021 „The Alien“. Erst nach knapp 2 Minuten entfaltet sich dann das Stück, und das tut es düster und polternd, ein schöner Einstieg, wie ich finde. Und der Bassgitarrist spielt wirklich schön. Portnoy rattert und knattert, sehr präzise, aber nicht technisch tot klingend. Und Petrucci beherrscht außer Gegniedel natürlich auch das Riffing, schöön basslastig und ratternd, und Rudess liefert dazu Keyboardmelodien ab, die für mich DT zu dem machen, was DT ausmacht. Prog Metal mit Marillion-Keyboards und Käsegesang nämlich. Aber bevor der einsetzt, hat Petrucci schon das erste Solo am Start: Altmodisch, hymnisch und leicht kitschig, aber wunderschön. Hernach – mittlerweile sind schon über 5 Minuten ins Land gegangen – Auftritt Häuptling Camembert. Auf dem zweiten Stück nämlich, denn „In The Arms Of Morpheus“ (dort ist man bei Schlafstörungen gut aufgehoben, wie ich finde, denn schließlich bedeutet „in den Armen des Morpheus“ doch eigentlich nur „schlafend“, oder?) ist ein Instrumental.
Der Käseprinz hat also erst auf dem zweiten Track „Night Terror“ seinen ersten Auftritt. Und den bringt er gut über die Bühne. Der Song baut sich erstmal langsam mit einem sabbathesken Gitarrenriff auf, dann haut Portnoy nacheinander auf alle Bestandteile seines Schlagzeugs und rattert sich dann so richtig schön einen zurecht. Petrucci sabbathet weiter und dann setzt zum ersten Mal der Gesang ein, und er klingt richtig gut. Ab Minute 5 gehört das Stück dann Petrucci und Rudess, die sich abwechselnd wirklich gute Soli um die Ohren hauen, es orgelt und pfeift, es kreischt und es fiept, dass dass es eine wahre Freude ist – das klingt hier auch nicht nach Schema F, sondern nach einer voller Spielfreude aufspielenden Band, die bestens aufeinander eingestimmt ist – und eine Minute vor Schluss darf dann LaBrie seine letzte Strophe singen.
„A Broken Man“ donnert dann gleich von Anfang an los wie „The Alien“ auf dem letzten Album. Schnelles Schlagzeug, schnelles Riffing, dann pendelt sich das Ganze zu immer noch begeisternden Riffs auf Midtempo ein und LaBrie fängt zu singen an – so richtig schnelles Tempo mit Gesang geht, glaube ich, bei DT nicht, und das finde ich schade.
Mit diesem zugegebenermaßen hohen Niveau geht es weiter und weiter – das Album begeistert mich, wo Petrucci und Portnoy sich djentend und polternd die Bälle zuspielen, es begeistert mich auch, wenn Rudess seine vielen Tasten durchprobiert und dabei meistens etwas Tolles entstehen lässt – nur leider holt LaBrie sämtliche Songs mit seinem – wirklich guten und schön klingenden – Vortrag wieder auf langweiliges und gehobenes Mittelmaß zurück. Ich vermisse beim Gesang immer die Momente, in denen ich mir sage: „Jahaaa – das können soo nur Dream Theater und keiner anders!“
Das gilt auch für das letzte Stück, das neunzehneinhalbminütige „The Shadow Man Incident“. Musikalisch finde ich es großartig, und dem Gitarristen und dem Keyboarder – wir wissen ja, wie sie sind – ausreichend Raum für ausschweifende Soli zu geben, finde ich eine richtige Entscheidung, aber unterm Strich macht sich in mir beim Hören eine gepflegte Langeweile breit. Hätte ich einen Fahrstuhl, liefe dort Dream Theater. Es wäre ein sehr hochwertig bespielter Fahrstuhl, aber immer noch kein Hubschrauber, der dieselbe Aufgabe umso ehrfurchgebietender erfüllte.
P.S: In dem Fahrstuhl würde ich aber das Albumcover an die Wand hängen, es ist nämlich wirklich großartig und sehr stimmungsvoll.