Von Matthias Bosenick (08.07.2025)
Das Album beginnt mit einem Lachen. Dabei wirkt die Musik so ernsthaft und melancholisch: „Certain Kinds“ vom Duo Drazek Fuscaldo, bestehend aus Przemysław Krzysztof Drazek und Brent J. Fuscaldo von Mako Sica, hier unter Zuhilfenahme von Schlagzeuger Jörg A. Schneider und Pianist Thymme Jones, lässt sich zwischen Neoklassik, Freejazz und Sakralmusik ansiedeln, hält sein Gestüm im Zaum und lässt sich trotz der unkonventionellen Herangehensweise als entspannend auffassen. Und dann dieses Lachen zu Beginn: Als wüsste man nicht intuitiv sowieso, dass es wohl eine Menge Spaß macht, miteinander solche Musik abseits ausgetretener Pfade zu erstellen.
Das Piano macht hier einen elementaren Unterschied. Jones spielt die warmen Töne, indes nicht unbedingt Melodien, er improvisiert wie die anderen drei Musiker, doch behält er sich vor, seinem Spiel eine Schönheit einzuhauchen, Verträumtheit, Entrücktheit, mal verhuscht getupft, mal glasklar. Dazu spielt Schneider sein Schlagzeug gewohnt zufallsgesteuert, er klickert darauf herum, und darauf heißt hier auf so ziemlich allem, was sein Kit so mitbringt, und es bringt eine Menge mit, an Hihats, Toms, Snares und was er sonst so im Keller finden konnte. Nur die Bassdrum bleibt eher unangetastet, er passt sein Spiel der zurückgenommenen Atmosphäre harmonisch an.
Ungewöhnlich ist der dunkle Gesang, bei dem nicht so richtig eindeutig herauszuhören ist, ob er Wörter transportiert oder Lautmalereien. Diesen Gesang bringt Fuscaldo gelegentlich in diese Musik ein, und sobald er seine Liturgie loslässt, wird das Bild sakral, wird aus dem Gefühl von Freejazz-Klassik etwas Beschwörendes. Irgendwann dringt dann Drazeks Trompete in den Hallraum. als Lure im Wald, als Wal im Meer, der Anteil an Jazz vergrößert sich, während das Piano doch so etwas wie Loops, also kurz vor Melodien, in den Raum stellt und Schneiders Schlagzeug klingt wie Sommerregen.
Und das war lediglich der 25minütigene Opener „Core“. Die nächsten 28 Minuten gehören „The Gate“, das mit einer orientalischen Gitarrenmelodie startet und das der Gesang in Kombination mit einem tatsächlich rhythmischen leisen Schlagzeug und dem Piano zu einem schamanischen Jazzstück umdeutet. Spätestens mit der Rückkehr der Trompete beginnt das Stück zu grooven wie Sau. Das ändert sich indes nach kurzer Zeit: Ein Break kippt den Track komplett um, zurück zum Freien, Unformatierten. Bis auf das Schlagzeug bekommen die Instrumente einen härteren Anschlag und auch mal die Neigung zur Atonalität, ohne indes lärmig zu werden. Im Gegenteil, auch diese latent aufgeregte Stimmung mildert das Quartett bald wieder ab und lässt sie abermals anschwellen, immerzu im behutsam vollzogenen Wechsel.
Auch das Viertelstündige „Brain In Tangles“ beginnt wie ein oldschooliges Jazzstück mit hart angeschlagenem Piano und gegensätzlich weichem Schlagzeug, hier hört man den Gesang überdies tatsächlich den Titel formulieren. Bald dringt beinahe unbemerkt, wie in allen vier Stücken dieses Albums, etwas in den Hintergrund, das man kaum wahrnimmt, eine Fläche, wie ein Drone, wie Soundscapes, nur selten so intensiv angelegt, dass sie deutlich ins Bewusstsein einfließt, aber fortwährend die Gesamtstimmung mitgestaltet. Und irgendwo kurvt Frank Bullitt mit seinem Ford Mustang GT Fastback durch San Francisco, dieses Mal allerdings nachts. Bis das Quartett nach der Hälfte abermals die festen Strukturen aufgibt und die Hörenden ins ungreifbare Nichts entlässt, zumindest vorübergehend, versteht sich: Zunächst beginnt Schneider, in der Stille mit seinen Sticks zu klickern, dann gesellt sich das Piano klimpernd hinzu, auch der Gesang, und als gerade ein Drone so richtig fett werden will, bricht das Stück ab.
Die letzten Töne wiederholen sich im Beginn des neunminütigen „Deviation“, nur ohne den Abbruch, hier setzt das Quartett die Reise fort, angereichert mit einer hörbaren Gitarre, mit der der Sound beinahe an Sqürl denken lässt, nur mit Gesang und Trompete. Das Quartett bleibt von vornherein beim Nichtfigürlichen und generiert eine dunkle, verträumte Stimmung, so einnehmend, dass man die Zeit gar nicht vergehen spürt. Man möchte gar nicht, dass es endet.
„Certain Kinds“ überrascht damit, dass es für eine improvisierte Aufnahme vierer Krachmenschen so wunderschön geraten ist. Viele der Beteiligten halten sich sogar so sehr zurück, dass man die Instrumente, die sie verwenden, kaum heraushört. Gut, bei Schneider und Jones ist es einfach, aber nicht bei den Hauptakteuren: Drazek spielt neben der Trompete noch Flügelhorn, E-Gitarre, Mandoline und Percussion, von Fuscaldo hört man außer dem Gesang noch E-Gitarre, Geige, Bass und Percussion. Oder auch nicht, weil so zurückhaltend gespielt.
In dieser Zusammensetzung kamen die vier Musiker nach leichter Recherche erstmals zusammen, heißt also: Für Schneider und Jones dürfte es eine Premiere sein. Schneider spielte mit Drazek Fuscaldo aus Chicago bereits häufiger zusammen, erstmals vermutlich als Havre de Grace, und auch Jones war mehrfach Gast bei Mako Sica. Dürfen die vier gern fortsetzen! Nicht herauszufinden ist indes, wofür das J. in Brent J. Fuscaldo steht.