Von Matthias Bosenick (28.12.2021)
„Jahaha, genau so ist es!“ – Der Film. Der verfilmte Politcartoon aus der Tageszeitung: Einfach mal abbilden, was sowieso klar ist, und „Humor“ drüberschreiben. Das verfilmte Twitter-Meme. Die erste Hälfte von „Der weiße Hai“ – 2021. „So ist die westliche Gesellschaft der Gegenwart“ – für Dummies. Nämlich: Wissenschaftler finden heraus, dass die Erde in sechs Monaten von einem Meteoriten zerstört wird, und alles, was danach passiert, kann man sich so sehr selbst ausdenken, dass der Film überflüssig ist. Die Filmsequenzen mit Überraschung sind so gering, dass man „Don‘t Look Up“ auch gut in einer Viertelstunde erzählt hätte. Macht man aber zweieinhalb Stunden draus. Am Schluss denkt man wie beim Gucken von „Melancholia“: Endlich ist die Qual vorbei, da reißt auch der Dinosaurier nix mehr.
Es geht schon damit los, dass Wissenschaftler den Kollisionskurs des Meteoriten an einem Whiteboard berechnen. Okay, so topmodern geht es auch an vielen Lehreinrichtungen in Deutschland zu, aber unglaubwürdig ist das trotzdem. Wie so ziemlich alles, was von Seiten der Wissenschaft kommt, und sei da noch so oft „Satire“ auf das Filmplakat gemalt: Man kann sich einfach nicht mit den Hauptfiguren identifizieren. Und über sie lachen auch nicht, dafür sind die Folgen aus Handeln und Nichthandeln jeglicher Beteiligter nicht absurd oder entlarvend genug, sondern schlichtweg exakt wie in der Realität, also jedem bekannt, der ab und zu Nachrichten guckt oder das Internet einschaltet, und außerdem baut Regisseur Adam McKay zu viel deplatziertes Beziehungsdrama mit ein, anstatt sich auf das Kerngeschäft zu konzentrieren; wo sich der Astronom dann doch noch absurd verhält, passt es weder zu seinem Charakter noch zu seiner Mission.
Man hatte so viele Gelegenheiten, die reale Dummheit der Menschen nicht nur mit dem Finger auf sie deutend herauszustellen, sondern sie wahlweise konsequent mit Argumenten in die Irre zu führen oder auf eine Weise zu erhöhen, dass sie grellbunt leuchtet. Stattdessen hangelt sich der Film an vergleichbaren realen Verhaltensweisen entlang, und das Schlimmste, was die brüskierten Wissenschaftler als Affront auffassen, ist ein General, der kostenlose Snacks aus dem Weißen Haus teuer an sie weiterverkauft. Das setzt McKay dann auch noch als Running Gag ein. Wie lustig.
Was also würde man sich selbst ausdenken? Da es sich um US-Wissenschaftler handelt, wenden sie sich natürlich als erstes ans Weiße Haus. Die von Meryl Streep gespielte Präsidentin Orlean, die nur unzureichend an Donald Trump erinnert, hat Wichtigeres zu tun, und weil sich die Akteure an die Medien wenden, geraten sie als Geheimnisverräter ins Visier des FBI. Bis ihre Daten bestätigt werden. Dann gibt‘s einen Erd-Rettungsversuch, aber ein spleeniger Apple-Microsoft-Mogul mit Mehrheit in der Regierung (Mehrheit an Geld, natürlich) wittert unendliche Rohstoffquellen in dem Himmelskörper und will ihn im All zerteilen und kontrolliert auf die Erde niederregnen lassen. Was folgt: Andere Nationen spielen kaum eine Rolle, außer, dass sie in Russland eine vergleichbare Rettungsaktion wie in „Armageddon“ starten wollen, die Gesellschaft lässt sich in Neurechte und Aufrechte teilen und Social Media, Trällertusen und Deppen-Fernsehen sind wichtiger als der nahende Weltuntergang. So real, so traurig, so wenig überraschend.
Was war dann aber doch gut an dem Film? Schwierig. Anfangs hofft man noch auf Satire und findet drei, vier Gründe für Gelächter, aber sobald man feststellt, dass die Satire nicht durchhält, sinkt man fremdschämend in die Sofakissen. Der alte Haudegen Benedict Drask (Ron Perlman), der eigentlich den Rettungsflug auf den Asteroiden absolvieren sollte, feuert auf jenen mit seinem Maschinengewehr, das ist lustig. Die Kometen-Entdeckerin Kate Dibiasky (Jennifer Lawrence) jobbt in einem Supermarkt, animiert drei Twentysomethings zum Ladendiebstahl und schließt sich ihnen an, nach Feierabend, das ist unerwartet. Ach ja, der Sohn der Präsidentin spricht die optisch vom Mainstream abweichende Kate einmal mit „Lisbeth Salander“ an, das ist wenigstens einmal Popzitat. Mehr Gutes bleibt echt kaum hängen, außer der Schluss, dass alle Guten gemeinsam chillig in den Tod zu Abend essen, sogar NASA-Experte Teddy Ogelthorpe, der einzig stringente Charakter des Films, der aber offenbar keine eigene Familie hat.
Es ist wie in „Der weiße Hai“, dass ein Mahner aus Geldgründen von Machthabern mundtot gemacht werden soll. Es ist wie in „Die Jagd“, dass sich Leonardo Di Caprios Figur, der nerdige Dr. Randall Mindy, zunächst mit Blabla von seiner Aufgabe als Mahner ablenken lässt, nur dass Mindy kein orientierungsloses Opfer bleibt, sondern – und da psst kein Teil zum anderen – die Spielregeln der Medien aus dem Stand anwendet und sogar eine Affäre mit der offensichtlich illoyalen und mit einem Alkoholproblem belasteten TV-Moderatorin Brie Evantee (Cate Blanchett) beginnt. Erst nach viel zu langer Zeit lässt ihn das Drehbuch in seine eigentliche Position zurückfallen und vor laufenden Kameras den Wutausbruch haben, den er am Anfang hätte gehabt haben müssen. Das ist die einzige Szene, in der die Figur überzeugt und den Klimaleugnern, Querdenkern, Lobbyisten, Influencern sowie sämtlichen von jenen eingelullten Bürgern etwas Handfestes entgegenschleudert. Ach, und einmal noch Kate, die ihren neuen Buddys die verschwörerisch angehauchten Polit-Theorien zerstört, mit der plausiblen Info, die Machthaber seien nicht intelligent genug, um auf solche boshaften Ideen zu kommen. Okay, wenn „Don‘t Look Up“ einige solcher Menschen tatsächlich aufrüttelt, ist ja etwas geholfen; dann ist er vielleicht gutes, aber stinklangweiliges Schulfernsehen, aber kein guter Film.