Von Matthias Bosenick (03.09.2017)
Wie jemand im Grunde mit nur einem einzigen Sound derart viele verschiedene Stimmungen erzeugen kann: Das ist die große Kunst im Ambient. Dominic Razlaff alias DR aus Braunschweig kann das. „Gentle“ ist eines seiner jüngsten Produkte (das wie vielt jüngste, weiß man bei dem Vielveröffentlicher nie so genau), und es erscheint als Kassette mit nur einem fast 20 Minuten langen Track. Man könnte es als Einschlafmusik bezeichnen, das funktioniert bestimmt ganz gut, aber dann versäumt man einen schieren Atlas an akustischen Landschaften.
Mit seinen Soundscapes geht Razlaff auf „Gentle“ reichlich behutsam um, er übertreibt nichts, lässt alles wirken. Und alles bedeutet in diesem Fall, dass er zwei umeinander harmonierende Töne erzeugt, die sich nur allmählich verändern und damit sich verschiebende Kontraste zueinander erzeugen. Es fühlt sich an, als folge man zwei Flüssen, die in Jahrmillionen nebeneinander ihre Betten in die Landschaft fluten. Kein Ton strengt an, obwohl sie niemals konkrete Melodien oder gar Rhythmen erzeugen.
Zur Hälfte des Stücks verlagert Razlaff die Tonlage um gefühlt einige Oktaven nach unten; wer bis dahin nur einschlummerte, befindet sich jetzt im Tiefschlaf. Oder folgt einem traumwandlerischen Wanderer, der nächtens im Auenland unterwegs ist: Daran erinnern die neuen zwei Töne, der eine bietet leichte Höhenveränderungen mit einem etwas leiseren, höheren Sound darüber. Nach weiteren fünf Minuten kehrt Razlaff zu den ersten Tönen zurück. Bei „Gentle“ könnte es sich so gehört auch um die verkürzte Darstellung einer Nacht handeln: Jetzt kehrt der Halbschlaf zurück, es geht ans Aufwachen.
Unklar lässt Razlaff wie ehedem, aus welcher Quelle er seine Sounds speist. Er verwendet Synthesizer ebenso wie selbst erstellte Field Recordings; beides verfremdet er so stark, dass sie hinter dem Produkt komplett verschwinden. Ein Zauberer, dieser DR.
„Gentle“ kommt über das japanische Label Beluga als 40-Minuten-Kassette mit jeweils dem Track „Gentle“ auf jeder Seite. Wer keines der wenigen Exemplare erwischt, kann sich diesen Track wie so viele andere aus Razlaffs üppiger Produktion auf seiner Bandcamp-Seite herunterladen. Dort findet man noch mehr Ambient, Drone, Experiment, Wohlklang. Eine lohnenswerte Reise, zu der er einlädt.
[04.09.2017] Edit: Laut Künstler ist das Label im Baltikum zu Hause und die Soundquelle eine Ukulele.