Von Matthias Bosenick (05.05.2025)
Black Metal ist eine ernsthafte Angelegenheit. Da gibt man seinen Alben keine Titel wie „Notes du Paradis – Whoop Whoop Whee Whee“. Es sei denn – vielleicht ist das, was Doctor Livingstone machen, ja gar kein Black Metal. Jedenfalls nicht ausschließlich. Wenn man sowieso schon keinen Bock auf Regeln hat und einen Lärmcocktail aus Hardcore, Crust-Punk und sonstiger geschrei- und gitarrendominierten Krachmusik macht, dann darf man das wohl. Die seit 1998 aktive Band aus Montpellier bringt nun ihr 2008er-Album – unklar, ob Debüt oder Zweitling – remastert erstmals auf Vinyl sowie als Stream heraus. Zeitlos! Und sicherlich nicht bierernst gemeint.
Was kuriose Titel betrifft, ist „Notes du Paradis – Whoop Whoop Whee Whee“ schon richtig harmlos gegen den des Vorgängers, der da lautete: „Notre niveau est trop élevé pour que vous, misérables créatures bipèdes pour lesquelles nous n’éprouvons que du mépris, puissiez porter un jugement à l’encontre de nos délicieuses créations“, also: „Unser Niveau ist zu hoch für euch, ihr erbärmlichen zweibeinigen Kreaturen, für die wir nichts als Verachtung aufbringen, um über unsere deliziösen Kreationen urteilen zu können“. Das ist mindestens selbstbewusst. Und sicherlich auch nicht so weit hergeholt: Zumindest auf diesem vorliegenden Nachfolger strukturiert die Band ihre Stücke komplex und unvorhersehbar, die Mucke ist zwar lärmend, aber nicht ausschließlich in die Fresse, sondern lässt immer wieder Raum für Raffinessen.
Natürlich nehmen weite Passagen das Geprügel und Geknüppel ein, das man von etwas erwartet, auf dem Etiketten wie Hardcore oder Black Metal prangen. Dazu spielt die Band ihre Gitarren nicht metallisch tieftönend, sondern in höheren Lagen schrammelnd, und passt den keifenden Gesang daran an. Tiefe erreicht dafür der Bass, der zusammen mit dem Schlagzeug versucht, etwas Dynamik und Struktur aufrecht zu halten. Das schaffen die Kompositionen aber von sich aus: Zwischen den Brettern lässt die Band Platz für Fugen, in denen das Gerumpel nachhallen und die Zuhörerschaft durchatmen kann. Außerdem ist die Band durchaus dazu in der Lage, ihr Instrumentarium zur Grooveerzeugung zu verwenden; bei dem hohen Tempo ihrer Stücke kommt der Nacken mit dem Nicken kaum hinterher, fühlt sich aber dazu befeuert.
Vom Sound her mag man an mancher Stelle an Sleepytime Gorilla Museum denken, sobald die mal energisch losbrettern. Das leicht Angeschrägte, Unglatte in den – nun – Melodien, Licks, Riffs, was auch immer, lässt an Steel Pole Bath Tub denken. Die punkige Kälte mancher Stücke der Dead Kennedys sickert auch mal durch, sobald – und das ist paradox genug – Doctor Livingstone das Tempo mal drosseln.
So richtig eindeutig ist nicht, wer bei Doctor Livingstone alles mitmacht. Offenbar sind dieses Album, das kurioserweise als Debüt gehandelt wird, ob wohl es ja den zitierten Vorgänger gibt, sowie ebenjener von nur einer Person eingespielt worden, und zwar von Patrice Duthoo. Anders hingegen die 2005 erschienene erste EP „Beneath It Devores“, da waren Doctor Livingstone ein Trio, und dessen Drummer taucht in manchen Credits zum vorliegenden Album ebenfalls auf. Das nächste Album nach diesem, „Contemptus Saeculi“, erschien erst 2014, verschob den Schwerpunkt mehr zum Black Metal hin und listet wiederum mehr Mitmusizierende auf, ebenso das bislang letzte Album „Triumphus Haeretici“ aus dem Jahr 2017. Jener Duthoo nennt sich auch mal PLCD, weil er voll ausformuliert Patrice Léon Christophe Duthoo heißt, oder auch mal Rel. Ein Nebenschauplatz von Doctor Livingstone ist das Trio Sektemtum, zu dem neben Duthoo auch die Afrikaforschenden Six (alias Azk.6, in echt Jonathan Boyer) und Reverend Prick (alias James Prick, in echt Raphaël Glatz) gehören. Wenn man bei all den Beteiligten noch die weiteren Aktivitäten durchgeht, komm man auf eine gewaltige Lebensspanne an zu entdeckender Musik. „Notes du Paradis – Whoop Whoop Wee Wee“, frisch in neuem Cover und auf blauem Vinyl herausgegeben, wäre ein schicker Einstieg.