Von Matthias Bosenick (13.10.2016)
So sehr man Tim Burton auch vergöttert, nicht zwingend jeden seiner Filme will man mehr als einmal sehen („Sweeney Todd“), manche sogar nicht mal überhaupt einmal („Big Eyes“). Es war Zeit für einen neuen Lieblingsfilm von ihm, und „Die Insel der besonderen Kinder“ ist dies ganz leicht. Gute Geschichte, zweckdienliche Effekte, pralle Ideen, morbid-brutale Überraschungen, stringente Erzählung: Burton schöpft aus dem Vollen, aus dem er schon so viele andere Meisterwerke fütterte. Schön auch in 3D.
Ein Grund dafür, dass dieser Film so gut funktioniert, ist der Genremix: Coming-Of-Age, Grusel, Fantasy, Superhelden, Familiendrama, Historienfilm, und von allem das, was gerade für die Geschichte erforderlich ist, nicht den überflüssigen Rest. Deshalb sind diese zwei Stunden Film auch nicht langweilig. Dazu kommt, dass Burton die Hintergründe für das, was man zu sehen bekommt, nur fragmentarisch erläuternd einstreut, man sich also mit der Hauptfigur gespannt mitwundert.
Diese Hauptfigur ist der US-amerikanische Teenager Jake, der es unter Gleichaltrigen zu nix bringt und an den Geschichten seines vermeintlich verwirrten Opas hängt. Seine Eltern wiederum sind Pfeifen. Opa erzählt von einem fantastischen Kinderheim und von Monstern, die er gesehen hat, als er jung war. Klingt nach Kriegstrauma, schließlich ist Opa aus Polen geflüchtet. Doch steckt hinter den Geschichten eine Realität, die Jake, nach des Opas rätselhaften und von einem offenbar nur von Jake erkennbaren Monster begleiteten Tod, auf einer Insel bei Wales entdeckt: Das Heim ist in einer eintägigen Zeitschleife gefangen und die juvenilen Bewohner haben tatsächlich die vom Opa kolportierten absonderlichen Eigenschaften. Einer hat Bienen im Leib, ein Mädchen ist bärenstark, eines superleicht und wegflugbedroht, einer ist unsichtbar. Leiterin Miss Peregrine ist ein Ingram: Sie kann sich in einen Vogel verwandeln und hat die Macht über die Zeitschleife. Damit rettet sie die Kinder 1943 davor, bei einem Bombenangriff der Nazis zu sterben. Jake gerät in diese Gesellschaft der besonderen Kinder und erkennt, dass er aus einem speziellen Grund dazugehört: Er kann als einziger die Monster sehen, die schon seinem Opa das Fürchten beibrachten. Erschaffer jener ist Mr. Barron, der die Ingrams dazu vernichtet, selbst ewig leben zu können, und er ist deshalb auch Miss Peregrine auf der Spur. Jake muss sich entscheiden, ob er ins für ihn sichere Jahr 2016 zurückkehrt oder den Kindern und dem hübschen Teenagermädchen hilft, das Böse zu vernichten.
Burton setzt seinen Bösen wie eine Schachfigur auf das Brett. Er ist eine Art Formwandler, der andere Identitäten annehmen kann, ist also selbst ein besonderes Kind, letztlich also ein gefallener Engel, der zum eigenen Vorteil gegen die Guten aufbegehrt. Er und seine Mitstreiter haben ähnlich besondere Eigenschaften wie die Kinder. Und Monster, so genannte Hollows, die außer für Jake und seinen Opa unsichtbar sind. Dennoch agiert Samuel L. Jackson als Böser ein wenig überkandidelt und selbstgerecht, er strahlt die überhebliche Besiegbarkeit schon beinahe slapstickhaft aus. Das nimmt ihm die Bedrohlichkeit. Aber wie er im Film auftaucht, das ist spannend.
Ebenso, wie das System im Kinderheim untereinander strukturiert ist, die Rollenverteilung der Charaktere und deren Fähigkeiten. Man soll sich vom Titel nicht blenden lassen, ein Kinderfilm ist dies mitnichten: Die Monster sehen furchterregend aus und Enoch, eines der Kinder, erschafft lebende Puppen, um sie gegeneinander in lustigen Todeskämpfen antreten zu lassen. Der Film ist also giftbonbonbunt. Und unfassbar einfallsreich. Ohne zu spoilern: das mit dem Schiff, das mit dem Schnee, der Endkampf am Pier, das mit der Vogelverwandlung und überhaupt. Wie bei „Amélie“ sind die Effekte nicht zum Selbstzweck eingesetzt, sondern im Sinne der Handlung. Und sie sind streckenweise in klassischer Ray-Harryhausen-Manier in Stop-Motion gedreht. Ein bisschen arg nervig ist die Musik, und einzig kritisch ist vielleicht der Umstand, dass gewisse Fähigkeiten der Kinder nicht schon früher zum Einsatz kommen. Und: Die finale Entscheidung Jakes kann nur gutheißen, wer noch daran glaubt, dass es sich lohnt, für eine Liebe sein Leben aufzugeben. Teenage Angst. Das war grad Ironie, okay? Jetzt müsste man sich vielleicht noch die Romane von Ransom Riggs durchlesen, die hier die Grundlage bilden.