Von Matthias Bosenick (04.04.2017)
Flüchtlingsdrama, Menschlichkeit, Eheprobleme, Rassismus, Behördenwillkür, Livemusik – alles in einem Film, alles in einem Kaurismäki, und alles so begnadet gut wie kaum etwas dieser Tage. Kati Outinen, wenigstens kurz! Und jedes Bild wie ein Kunstwerk. Da fließen die Tränen allein schon vor Rührung über dieses Wunderwerk. Eindringlicher als Nachrichten gucken. Und mit mehr Appellpotential.
Bis weit über die Hälfte hinaus erzählt der Film zwei Geschichten, die erst spät zu einer werden. Einerseits gibt der Hemdenvertreter Wikström sein Geschäft auf, verlässt seine alkoholkranke Frau und übernimmt ein Restaurant, andererseits versucht der syrische Flüchtling Khaled, in Finnland Asyl zu beantragen und etwas über den Verbleib seiner Schwester Miriam zu erfahren. Erst als Khaled vor seiner Abschiebung flieht, trifft er auf Wikström, und der bringt ihn bei sich im Restaurant unter. Wikströms Motivation wirkt zwar etwas unklar, doch ist sie vermutlich typisch finnisch und ohne große Worte aus dem Bauch heraus gehandelt. So ist dieser Wikström eben, das zeigte er auch schon vorher.
Khaled erzählt der Einwanderungsbehörde und damit dem Zuschauer stellvertretend für Tausende von Flüchtlingen deren Schicksal: Die Familie von Raketen unbekannter Herkunft beim Mittagessen ausradiert, die Schwester verschollen, quer durch Europa geirrt, von Nazis gejagt und letztlich abgewiesen, weil Aleppo als sicher genug gilt. Wikström hingegen vertritt den Europäer, der genug Geld besitzt, um den Leidtragenden Hilfe gewähren zu können. Doch ist Wikström mit seiner Unangepasstheit vielmehr ein Wunschbild des Wohlhabenden, der seine Angestellten gut behandelt und den Schutzsuchenden aufnimmt. Ein wahrer Samariter, einer aus einem Märchen.
Die Randfiguren erweitern das Spektrum, von Wikströms Ehefrau, den Kellnern und Köchen, den Polizisten, Sozialarbeitern, Spediteuren, Mitflüchtlingen bis hin zu den Nazis, die Finnland rein halten wollen und sich dabei als so ungebildet entpuppen wie Nazis überall. Jede Figur bringt einen anderen Aspekt in die weltweit angespannte Situation, die sich eben zufällig in Helsinki zu diesem Reigen manifestiert. Auf wunderbare Weise verknüpft Kaurismäki das aktuelle Weltgeschehen mit seiner ureigenen Art, Geschichten zu erzählen und in ihnen dezidiert seinen skurrilen Humor unterzubringen.
Dazu gestaltet Kaurismäki jedes Bild wie ein arrangiertes Kunstwerk, und wo die Einstellungen willkürlich erscheinen, haben sie etwas Dokumentatorisches. Sein Technicolor verleiht den Bildern die Wärme später Sommerabende, Wikströms Oldtimer und die Schreibmaschine der Polizisten der Gegenwart etwas Zeitloses. So viel Livemusik wie hier gab es von Kaurismäki zuletzt bei den „Leningrad Cowboys“, trotz aller Schweigsamkeit so viel Dialog ohnehin selten und so viel Hoffnung wie hier erst seit Ende der Neunziger. Warmherzigkeit quillt aus allen Sequenzen, und zwar die finnisch-karge. Kaurismäki wird mit dem Alter zusehends weniger depressiv, scheint es. Salzheringsushi und vom Buddhismus zum Isalm konvertierte Hunde, die Städte belagern: Mit seinen absurden Ideen schlägt Kaurismäki der menschenverachtenden Gegenwart linksrechts ins Gesicht und plädiert nachdrücklich für Menschlichkeit. Ein wichtiger Film. Und ein guter dazu. Mit wenigstens einigen Minuten Kati Outinen.