Devin Townsend – PowerNerd – HevyDevy/Inside Out/Sony 2024

Von Matthias Bosenick (05.12.2024)

Endlich wieder ein nachvollziehbares Metal-Album vom größtmöglichen Helden der lebenden kanadischen Gitarristen der Welt! Und dann noch mit so einem geilen Titel: „PowerNerd“, passender geht’s kaum für einen ufer- und grenzenlosen kreativen Exoten wie Devin Townsend. Hier ist alles drauf, was man an ihm liebt: wuchtige Riffs, hübscher Pop-Metal, ordentlich Schub, fetteste Power, muss ja, Electro-Effekte, Akustik-Balladen, Ambient und bei aller schmerzverzerrten Tiefgründigkeit auch Bombenhumor – „Ruby Quaker“ dürfte der Song des Jahres sein, wakey-wakey. Hier folgt Hit auf Hit, so vielseitig, und doch behält Dev dieses Mal die Übersicht. Anders als gewohnt ist hier allerdings die Bonus-CD verzichtbar. Und Anneke van Giersbergen fehlt!

Ein Devin Townsend hat so viele Ideen, dass er sich selbst überschlägt. Seit dem exorbitant großartigen Viererpack mit „Ki“, „Addicted“, „Deconstruction“ und „Ghost“ zwischen 2009 und 2011 sowie dem kaum weniger fantastischen Ambient-Country-Projekt Casualties Of Cool 2014 schlug sich das auch in seiner Musik nieder: Was er auf jenen Alben noch nacheinander umsetzte, vermengte er danach auf seinen zahllosen Nachfolge-Alben reichlich unübersichtlich. Waren seine progressiven Metal-Ideen bis dahin zwar unvorhersehbar, aber nachvollziehbar, strich er den letzteren Faktor bald und produzierte sperrige, abstrakte Brocken, bei denen es schwerfiel, einen Zugang zu finden. „Empath“, „Lightwork“, so als Beispiele, sie rauschten am Bewusstsein vorbei. Ganz anders dieser „PowerNerd“.

Seine vielseitigen Ideen behält Dev hier zwar bei, aber es ist, als dröselte er sie wieder in zugängliche Reihenfolgen auf. Auch mit überraschenden Wendungen vergisst er nicht, kompositorisch im Sinne der Songs zu arbeiten; wenn in einem heavy Stück ein Blastbeat einsetzt, wenn eine Akustik-Ballade zum Power-Metal mutiert, wenn ein balladesker Track mit Synthies ein- und ausläuft, dann passt das immer, man geht den emotionalen wie energetischen Wellengang mit dem Musiker mit. So richtig dolle heavy ist Dev hier indes nicht, das aktuelle Devy-Heavy ist heute etwas abgerundeter als zu Zeiten von Strapping Young Lad, aber immer noch wuchtig genug, um die Hörenden immer mal wegzublasen. Vielmehr besteht der „PowerNerd“ aus opulenten Hymnen, unter diese Kategorie fallen wohl fast alle Songs. Und Songs sind es wieder!

Man möchte Dev für „PowerNerd“ umarmen, für jeden einzelnen Song, weil es ihm gelingt, mit jenen die Hörenden seinerseits zu umarmen. Selbst die härteren Passagen bergen immer noch die Kraft des emotionalem Umpuschelns, die reduzierteren mit Akustikgitarre oder Ambient-Unterbau sowieso. Man mag ihn auch knuddeln dafür, dass er zwar sehr wohl die Energielevel innerhalb der Songs zu wechseln weiß, er aber beständig darauf achtet, seine Follower nicht zu verlieren. Und was für große Gesten er hier über den Horizont spannt! Ist das Kitsch? Ja, devin-itiv, aber hey, es ist bald Weihnachten und überhaupt ist überall Krise und man braucht etwas Positives und außerdem ist Dev ja gar nicht so plakativ wie andere Kitsch-Metaler. So viel Kunst, wie er hier einbaut.

Erst mit dem Rauswerfer „Ruby Quaker“ überschlägt sich Dev wieder, aber da der Song eine humoreske Hommage an den Kaffee darstellt, mithin das alte „Ziltoid“-Thema wieder aufgreift, kann man über jede absurde Wendung lachen. Anders verhält es sich mit der Bonus-CD: Boten die als Demo deklarierten Bonus-Alben vorhergehender Outputs immer vollwertige Preziosensammlungen, bestehen diese drei überlangen „Songs“ ausschließlich aus abrupt aneinandergeklebten Skizzen, die durchzuhören massiv schwer fällt.

Für die Umsetzung seiner Ideen verpflichtete der powernerdige Multiinstrumentalist Session-Musiker, keine feste Band wie noch das Devin Townsend Project, obschon sich einige Veteranen unter den Gästen finden. Schlagzeuger Draby Todd aus dem UK spielt ansonsten bei eher nicht so bekannten Bands wie Oblivion Protocol oder Out Of This World. Ebenfalls im Prog-Metal ist die Band Haken eingeordnet, bei der der Mexikaner Diego Tejeida wie auf „PowerNerd“ Keyboards und Synthies spielte. Weitere Tasten drückte der alte Frank-Zappa-Sidekick Mike Keneally, der ohnehin schon seit einiger Zeit bei Devin mitmischt. Ebenso Marc Cimino an der Akustikgitarre, der unter anderem am Project beteiligt war – und auch schon an der ersten offiziell aufgenommenen Performance Townsends, nämlich auf „Sex & Religion“ von Steve Vai 1993. Ebenfalls beim Project dabei war Bonus-Bassist Jean Savoie. Zusätzlichen Gesang gibt’s von Aman Khosla (abermals nicht zum ersten Mal bei Dev), Fotografin Tanya Ghosh und Hatebreed-Sänger Jamey Jasta.

Große Freude, dass man „seinen“ Dev wieder zurück hat. Unermüdlich schiebt der Mann Album um Album unters Volk, oftmals von der breiten Öffentlichkeit unbemerkt, wie zuletzt „The Puzzle“ und „Snuggles“, und nun wieder eines mit mehr Freude am Goutieren. Als wäre er wieder aufgewacht – wakey, wakey!