Von Matthias Bosenick (01.03.2021)
Hauke „Der“ Harms lügt zu mindestens 33 Prozent mit dem Titel seines, nun, CD-Solo-Debüts: „Neun“ trifft zu, „schöne“ ist selbstredend Geschmackssache und „Lieder“ stimmt gar nicht. Sondern: Repetetive Experimente an zumeist analogen elektronischen Tonerzeugern, die eben die klassische Liederstruktur komplett ignorieren und stattdessen im Sound synthpopnahe und somit aus heutiger Sicht zeitlose Tracks ergeben, denen man chillig zuhören und zu denen man in einigen Fällen auch behaglich tanzen kann. Der Gruftwavekontext, in dem DerHarms in den zurückliegenden Jahrzehnten in Erscheinung trat, kommt hier schier gar nicht zur Geltung, dann schon eher das Chillige seiner Ambient-Kollaboration „Fingerhut“ mit Axel Ermes aus dem vergangenen Jahr.
Die Melange ist zwar gestrig, aber in ihrer Mischung in keiner konkreten Epoche verhaftet und somit in die Zukunft gewandt: Da Harms die Sounds überwiegend analog generiert, tragen sie dem Equipment geschuldet die Erinnerung an frühen Achtziger-Synthpop, mit ihren klar synthetischen Drums etwa und mit ihrer unerwarteten Wärme. Nun war es zu jener Zeit aber nicht eben üblich, aus diesen Sounds etwas zu gestalten, das in seinem repetetiven Aufbau noch weiter zurückgreift, in den Krautrock und in die Berliner Schule nämlich. Stoische Beats, fragmentarische Patterns: Klaus Dinger und Jaki Liebezeit wären auf die Gerätschaften sicherlich neidisch geworden.
Harms programmiert das Ganze aber nicht einfach und schaltet die Patterns nach Laune ein und aus, sondern er legt melodieartige Sounds darüber, die er moduliert; er spielt die Instrumente also tatsächlich, und er bestückt die Stücke mit allerlei unerwarteten Details und Elementen, die die Tracks trotz der musikalischen Wiederholbarkeit spannend halten. „Lieder“ indes werden daraus nicht, dafür sind sie zu minimalistisch und unterschwellig monoton, auch mit den Modulationen darüber. Vielmehr, und das ist der nächste anachronistische Rückgriff, kann man sich die Tracks ganz gut in Neunziger-Clubs vorstellen, auf dem Sprung in die Technozeit, bevor der Techno so richtig durchstartete; denn einige tragen in der Tat etwas wuchtigere Beats, und die synthetische Monotonie war schon immer ein guter Begleiter für den synthetisch befeuerten Brausekopf auf der Tanzfläche.
Was man nicht findet, oder höchstens minimal (ha, ha): harsche Industrial-Elemente. Dabei wären die von einem Hauke Harms womöglich noch erwartbar gewesen, schließlich steht sein Name mit diversen Größen aus der teilweise sogar härteren Gruftmuckeszene in Verbindung: Girls Under Glass, Project Pitchfork, Calling Dead Red Roses sowie Trauma und Traum-B. Sein Solo-Debüt ist „Neun schöne Lieder“ außerdem nicht, allerhöchstens auf CD, denn bereits 2012 veröffentlichte er „Music4Cars“ als Download auf seiner Bandcamp-Seite. Die Stücke auf dem vorliegenden Album entstanden in den Jahren danach, Harms formulierte sie 2020 aus.