Von Matthias Bosenick (23.10.2024)
Die Klaviatur des Kitsch wird hier voll ausgespielt, jede Tränendrüse getriggert, jedes verfügbare Mittel angewandt: Zwar kommt der Animationsfilm „Der wilde Roboter“ aus dem Hause DreamWorks, fühlt sich aber nahezu komplett wie Disney an. Lediglich nahezu, weil hier eine Menge schwarze Gags zum Thema Tod eingebaut sind, die man beim Vater im Geiste eher nicht erwarten würde. Die Handlung klappert die konventionellen kinderfilmgerechten Kernelemente ab: Menschlichkeit, hier gespiegelt im Verhalten eines Roboters, Freundschaft, Frieden, Selbstbehauptung als Underdog (bzw. Undergoose), Selbstvertrauen, all sowas, dargelegt anhand anthropomorpher Charaktere einer von Humanoiden unbewohnten Insel. Wischt man das alles beiseite und konzentriert sich allein auf die Optik, wird man von diesem Film nachhaltig überwältigt. Mit Raumschiffen und Laserkanonen!
Optisch unterscheiden sich Hollywood-Animationsfilme mittlerweile kaum noch von herkömmlichen Hollywood-Filmen, etwa denen aus dem Marvel Cinematic Universe, in denen der Anteil real gefilmter Szenen in einen einstelligen Prozentbereich gerutscht sein dürfte, daher erstaunt es wenig, dass ein Film wie „Der wilde Roboter“ visuell so dermaßen beeindruckt. Ein Wald sieht hier aus wie ein Wald, eine Riesenwelle ergießt sich glaubhaft an den Strand, ein Feuer wirkt wie real abgefilmt, selbst die futuristischen Anteile der postapokalyptischen Welt – Hinweise darauf lassen sich ausmachen, wenn man etwa kurz gezeigt bekommt, wie Wale oberhalb der Golden Gate Bridge schwimmen – sehen gut aus. Klar, die ballernden Laserroboter haben etwas Comichaftes, die Tiere tragen etwas Disney-Niedlichkeit zur Schau, doch sind diese Elemente ansprechend in den noch ansprechenderen Hintergrund integriert.
Die Geschichte, übrigens dem gleichnamigen Buch von Peter Brown entnommen, beginnt mit einem schiffbrüchigen Roboter, der seine Programmierung auf einer einsamen Insel an die tierischen Bewohner anpasst, also zunächst deren Sprache lernt, um ihnen dann wie digital vorgesehen hilfreich zur Seite stehen zu können. Klappt nicht, die Biester haben erstmal Schiss vor dem metallenen Ungetüm, das sich zudem ungeschickt anstellt – und dabei das Gelege einer Gans inklusive brütender Mutter letal zerstört. Ein Ei bleibt übrig, das der weiblich gelesene Roboter gegen einen Fuchs verteidigt und ausbrütet. Die beiden freunden sich an, ziehen das hässliche Entlein gemeinsam auf, befähigen es zur Vogelflugfähigkeit und schleusen es gegen den Willen der gehässigen Gänse in deren Schwarm ein. Klappt.
Könnte ein schöner Schluss sein, man wundert sich noch, dass das Gänsejunge nicht „Adrian“ schreit, dann kommen plötzlich unerwartete Komponenten in die Geschichten: Die Roboterin will sich angesichts ihrer erfüllten Aufgabe eigentlich in die Zentrale zurückbeamen lassen, entscheidet sich aber dagegen, als der Fuchs die begonnene Freundschaft fortzusetzen einfordert – und es entbrennt ein Kampf der Systeme: Laserroboter gegen Waldbewohner. Die zudem aufgrund des Wintereinbruchs von der Roboterin dazu gezwungen werden, ihre Fressfeindschaften abzulegen, was auch über den Winter hinaus erfolgt. Rettendes Zünglein an der Waage ist natürlich das Gänsekind. Alles etwas geradlinig, auch wenn die Aneinanderreihung dieser Elemente etwas anderes vorgaukelt, aber von Studio Ghibli und europäischen Animationsfilmenden ist man mittlerweile doch eine deutlich andere Erzählweise gewohnt.
Zunächst fällt es schwer, in die Geschichte hineinzukommen, wirkt der Auftakt am Strand und im Wald doch wie eine unzusammenhängende Nummernrevue, und das in einem Tempo, das es erschwert, sich auf irgendeinen Aspekt einzulassen, zumal man auch gar nicht ahnt, welche Charaktere für den Fortgang der noch nicht einmal begonnenen Geschichte relevant sein würden. Eine Horde Tiere mit spezifischen Charaktereigenschaften bewohnt den Wald, und da dringt Disney am stärksten durch, man fühlt sich in die alten Zeichentrickfilme bis in die Neunziger zurückversetzt. Das Kindchenschema reizen die Figuren nicht ganz so arg aus, immerhin, und größter Kontrapunkt zur Vorlage im Geiste ist das Opossum, dessen Kinder fortwährend von Tod und Sterben witzeln und später nach gewonnenem Kampf gegen Metallinvasoren „das Roboterfleisch“ fressen wollen.
Fressen und gefressen werden, also die Natur der Natur, ist anfangs ohnehin Thema, doch legt die Roboterin diesen notwendigen Kreislauf bei und verbündet die Inselbewohner, indes kurioserweise ohne ihnen eine Alternative anzubieten, schließlich stellt sie ja selbst fest, dass diese Vorgehensweise grundsätzlich Existenzen sichert. Puh. Nächstes Klischee: Die unförmige Gans wird vom Gansvater zum Anführer gemacht, rettet den Schwarm aus einer ebenfalls von Laserrobotern besetzten Klimakuppel sowie die Roboterin aus einem Raumschiff. So weit, so ergreifend-dramatisch – doch der Kleisterkitsch des Scores und der ermutigende Popsong bei den gänsekleinen Flugversuchen dominieren zusätzlich manipulativ die emotionale Zuwendung der Schauenden zur Geschichte.
Bei aller mit etwas Seherfahrung vorhersehbarer Stereotypie bietet der Film auch einige Besonderheiten; der schwarzhumorige Umgang mit dem Thema Tod ist bereits genannt. Ungewöhnlich ist, dass der Roboter weiblich ist; instinktiv bekommt er vor dieser Erkenntnis eine maskuline Konnotation. Ein Tier sagt gegen Ende etwas wie, „da kam ein Roboter mit der bescheuerten Idee, mit Freundlichkeit weiterkommen zu wollen, und alle stellten fest, dass dieser bekloppte Roboter damit Recht hatte“, was in Zeiten mit zunehmender Individualisierung und damit einhergehender gesellschaftlicher Verrohung ein mutiges Statement sein muss. Und natürlich ist der Klimawandel ein Thema, indes nicht als erhobener Zeigefinger, sondern als vorausgesetzte unanzweifelbare Tapete.
Nun gibt es Stimmen in diesem Internet, die dem ansonsten im Bereich Kinderfilm eher nicht so bewanderten Zuschauenden erklären, dass es solche Kinder-Filme mit solch positiver Botschaft heute ja nicht mehr gibt. Wer seit 30 Jahren keine Kinderfilme mehr gesehen hat, findet hingegen sämtliche früheren Muster wieder. Letztlich ist es gar nicht vorstellbar, dass die erste Aussage stimmt: Auch der größte Quatschfilm dürfte die ganz oben genannten Parameter berücksichtigen. So ist „Der wilde Roboter“ zwar eine Ansammlung vertrauter Elemente, aber mit dem schwarzen Humor, dem Mix aus Natur und SciFi, den beeindruckenden Bildern und der herzerwärmenden, nicht ausschließlich kindgerechten Botschaft sehr sehenswert. Kinder dürften große Freude an diesem Mix haben.