Von Matthias Bosenick (21.02.2019)
Herrliche Entspannungsmusik! Sofern man dafür offen ist: Der Finger aus Moskau legen einen Teppich aus Lärm, über den sie mit einem Saxophon spazieren und um den herum wilde Tiere brüllen. Sie schmeißen Maschinen an, ergehen sich im Experiment und malen riesig das Wort „Jazz“ über ihre Drones. In fünf überlangen Tracks arbeitet sich die Band an der „Illuminatus!“-Trilogie von Robert Shea und Robert Anton Wilson ab. Aber nicht unstrukturiert, das Trio geht rhythmisch und bisweilen sogar mit einem am Krautrock orientierten Groove vor. Wundervoll!
Die Titel der Tracks könnten nicht passender sein: „Verwirrung“, „Zweitracht“, „Unordnung“, „Beamtenherrschaft“ und „Realpolitik“. Sicherlich trifft den Hörer beim ersten Ton Verwirrung, denn da bricht das Pluckern einer Maschine über ihn herein, das die Grundlage für den zwanzigminütigen Opener bildet. Darüber flirrt das Saxophon, melodielos wie im Free Jazz, aber ebenso wie dort nicht nervend. Der Beat hält alles zusammen und gibt dem Chaos Ordnung.
So verhält es sich das gesamte Album über, nur mit anderen Ausprägungen. Einmal ertönen Geräusche wie von den Dinosauriern aus „Jurassic Park“, einmal wabert die zermatschte Percussion zwischen Beats und Saxophon wie zu gruftigen Tribal-Zeiten der Marke Hunting Lodge, einmal erinnert der Sound an die doomige Industrial-Variante der Swans auf „Real Love“, nur mit Messingblasinstrument, ein anderes Mal an den Noisebetonfußboden von Monno, und zwischendurch lassen sie das Schlagzeug sogar mal ganz weg, ohne dass darunter die Hörbarkeit leidet. Damit liefern Der Finger mitnichten „Unordnung“, denn in sich sind die Tracks nachvollziehbar. Man kann sich fallen lassen in die Noisescapes, in die atmosphärischen Drones, in das experimentelle Dröhntröt.
Das Konzept des Albums orientiert sich an den fünf Jahreszeiten aus „Illuminatus!“, die jeweils 73 Tage dauern und den Kreislauf von Chaos, „complete fuck-up (SNAFU)“, so Bassist Anton, und zurück abbilden. Und ja, die Musik bildet diesen Kreislauf ab, und ja, dieses Chaos ist wunderschön. Und abermals ja, in Moskau gilt so etwas heutzutage wohl wieder als subversiv und politischer Ungehorsam – mindestens der Titel wegen.
À propos Anton, jener Anton Efimof spielt auch bei Disen Gage, und mit ihm bei Der Finger sind Schlagzeugerin und Saxophonistin Evgenia Sivkova sowie ihr Vater Edward Sivkov an Bassklarinette, Saxophon und der russischen Laute Domra. Der Finger sind offenbar nicht ausgelastet: Nicht nur, dass das Album selbst schon die 80 Minuten erreicht, ist es auch noch das 23. auf ihrer Bandcampseite. Wenn die alle so gut sind, möchte man unbedingt den Rubel rüberrollen lassen.