Von Matthias Bosenick (07.01.2019)
Wenn man die Interviews mit Brendan Perry zuerst liest und dann das Album „Dionysus“ hört, fällt dieses maßlos enttäuschend aus. Der intellektuelle Überbau ist größer als der Inhalt, den diese musikalische Auseinandersetzung mit dem griechischen Partygott mitbringt, zumal rein instrumental. Die einst so fragil groovende Musik ist hier ein Versatz aus von Dead Can Dance Bekanntem, nur kitschiger zusammengefügt. Letztlich entpuppt sich „Dionysus“ außerdem als Solo-Album von Perry, bei dem die ach so unbeugsame Lisa Gerrard nur mal lautmalerisch mitträllern darf. Nicht sehr sympathisch, das Zusammenspiel der beiden. Es sei geraten, auf die alten Alben von bis vor 22 Jahren zurückzugreifen.
Da tiriliert ein Chor, da zittert eine Zither, da vergeigen sich ägyptisch anmutende Streicher, da schlagwerken afrikanische Percussioninstrumente und Triller, da tröten orientalische Blasinstrumente, es rasselt, zirpt, fiedelt, kuhglockt, gemächlich und gemütlich, aber – typisch für Dad Can Dance – doch unerwartet groovend. Perry instrumentiert und rhythmet sich durch die Folklore der Welt, also wie immer, alles auch ganz schön, in erduldbaren Loops angeordnet und aneinandergereiht, schöne Wiedererkennbarkeit, inklusive neumodernem „Despacito“-Takt. Vor lauter vollgeprofter Tracks jedoch kommt man gar nicht zum Fallenlassen, die Sounds sind so dicht und kompakt, dass kein Raum für eigene Notizen bleibt. Anstrengend. Die ganze frühere Behutsamkeit und Fragilität versinkt im Hans-Zimmer-Overkill.
Früher, als der Papst noch auf dem Baum und so, unterschieden sich die Dead-Can-Dance-Alben voneinander. Die Karawane zog weiter und graste eine andere Epoche oder einen anderen Landstrich ab. 1996 erschien mit „Spiritchaser“ das afrikanische Album und das letzte vor dem Split, ein wunderbares Tanzalbum, traumwandlerisch, hypnotisch, mitreißend. Davon übernimmt Perry für „Dionysus“ die Soundelemente, versetzt die mit Motiven aus dem Orient und generiert ansonsten nichts wirklich für die Band Neues.
Wobei von Band gar keine Rede sein kann: Das Album hat Perry selbst komponiert und eingespielt, in der zweiten Hälfte darf Gerrard mal mitsingen. Die Spannung, die einst in den gegensätzlichen charakterstarken Stimmen lag, geht hier in der Musik unter. Perrys Konzept, mit „Dionysus“ eine Art klassische Partitur komponiert zu haben, weshalb man das Album nur am Stück hören darf, liest sich ja ambitioniert, wirkt sich aber – zumindest für Klassiklaien – nicht auf das Hörverständnis aus.
Schon die Comebackplatte „Anastasis“ vor sechs Jahren war nur so eine halbe Freude, schließlich war die Musik erschreckend künstlich; das zumindest ist hier nicht mehr der Fall. Aber wenn man sich schon an den Gott des Weines, der Fruchtbarkeit und des ausgelassenen Partyfeierns wagt, sollte der auch zu hören sein. Griechische Folklore wäre eine schöne Grundlage gewesen, die fehlt bei Dead Can Dance noch. Da war das großkotzige Gelaber von Chef Perry beinahe noch unterhaltsamer, hätte er nicht immer wieder Gerrard gedisst.