Von Matthias Bosenick (25.02.2019)
Das dürfte das größte Rätsel der Menschheit sein: Da veröffentlichen De Staat Ende 2018 als Download mit „Kitty Kitty“ den besten Song des dritten Jahrtausends, und das Album dazu, „Bubble Gum“, enthält nur Scheiße. Man bleibt fassungslos zurück. Die Grätsche aus Sperrigkeit und trotzdem Kommerz gelingt den Niederländern einfach mal gar nicht, nicht nur das, beide Komponenten bedienen sie auch noch jede für sich unhörbar. Der große Hit ist es wert, den Preis eines Albums dafür zu zahlen, aber zu allem Übel ist der hier auch noch um fast eine Minute gekürzt und somit physikalisch nicht in der vollen Pracht zu haben. Eine grandiose Enttäuschung.
„Kitty Kitty“ hat lauer Komponenten, für die andere Bands einen Großteil ihres Oeuvres eintauschen würden, und De Staat kombinieren diese Elemente schlüssig, zwingend, mitreißend. Man kann gar nicht sagen, um was für eine Musikrichtung es sich überhaupt handelt, und wenn der Song erstmal läuft, will man das auch gar nicht mehr. De Staat gelten als Indierockband, aber das bestätigt „Kitty Kitty“ nicht zwingend. Strukturell erinnert das Stück an „New Noise“ von Refused: Los geht es mit einem schleppenden tanzbaren Beat, der auf einem wie abgerutscht wirkenden Basslauf basiert; gegen Ende eines Vierertaktes zieht der eintönige Bass abrupt nach oben. Alle paar Takte drischt der Schlagzeuger für einen Break auf seine verstärkten Snares ein. Der Sänger rezitiert eher gelangweilt-abgehackt, als dass er wirklich singt, und unterfüttert damit die Spannung, die aus der Musik resultiert. Diverse Pieptöne bilden eine Art Melodie. Im Verlauf wechselt die Musik kurz in Richtung Techno und gönnt sich so manche unvorherseh-, aber nachvollziehbare Eruption. Stimmungen wechseln, Breaks verwirren, und je länger der Song läuft, desto mehr Leute wollen dazu tanzen.
Das Ding kracht, immer und immer wieder. Ein Album von einer Band, die solches zu kreieren in der Lage ist, das wäre ein Traum! Wenn das dann auch so geil vielfältig ist wie seinerzeit „The Shape Of Punk To Come“, das mitnichten das Rezept von „New Nosie“ einfach nur auswalzt, sondern lauter beinahe ebenbürtige, aber andere Brenner dazupackt – „Bubble Gum“ hätte das Zeug zum sicheren Platz in den ewigen Toplisten.
Aber dann: Schon Track zwei nach „Kitty Kitty“ erzeugt Ekel. In „Fake It Till You Make It“ verwendet der Sänger den Cher-Effekt zu einem Song, der aus Plastikmusik besteht. Das ist ganz schlimme Radioanbiederei, ohne dem Radio tatsächlich etwas bieten zu können, denn selbst dafür ist der Song zu orientierungslos und unausgegoren. Wenn das ein Scherz sein soll, kann man ja mal abwarten, ob man beim zweiten Durchlauf darüber lacht.
Mitnichten. Sicherlich tauchen vereinzelte Soundelemente aus „Kitty Kitty“ immer wieder mal auf, aber ihnen fehlten der brillante Kontext und letztlich auch die Innovation, denn schließlich gibt es sie ja bereits in „Kitty Kitty“. Natürlich ist damit eine Art Signatursound von De Staat festgelegt, aber gute Songs bleiben komplett auf der Strecke. Einzig die Ballade „Phoenix“, die jüngste Single mithin, generiert noch einen unerwarteten Hinhörer.
Man fragt sich, was De Staat eigentlich wollen. Manchmal scheinen sie wie Devo oder die Talking Heads klingen zu wollen, möglicherweise wie LCD Soundsystem. Doch immer fehlt ihnen der Charakter, die Musik ist künstlich, nicht künstlerisch, und es fehlt ihr an der tiefschwarzen Seele, die „Kitty Kitty“ ahnen ließ. Vielleicht greift die Band damit ja eigentlich nur ihren altbekannten Stil auf, schließlich gibt es bereits fünf Alben von De Staat; damit müsste man sich auseinandersetzen. Gut macht das „Bubble Gum“ dann aber nur für diejenigen, die solche Musik so bereits verehren. „Kitty Kitty“-Ersthörer bleiben auf der Strecke.