Von Matthias Bosenick (16.03.2023)
Dieses offenbar spontan im Studio zusammengefügte namenlose Trio aus David Rothenberg, Bernhard Wöstheinrich und Ali Sayah macht keine Kompromisse. Drei multidisziplinäre Menschen verbringen mit ihren Instrumenten und einiger moderner Technik Zeit in Berlin, starten ihre Session noch mit Rhythmen, lassen die alsbald fahren und verlieren sich in – nun: vermutlich sich selbst, bevor sie doch wieder in einem gemeinsamen Tritt geraten. Grob sortiert sich dieses Album wohl selbst automatisch unter Jazz ein, auch wenn mit den elektronischen Anteilen etwas Industrial, Techno und Ambient Einzug finden. Mit den Klarinetten, die vorrangig zu hören sind, birgt „Homayoun“ einen grundsätzlich warmen Sound, das scheinbar Willkürliche und die hintergründige Leere machen den Zugang indes nicht allzu leicht.
Fünf Tracks generiert das Trio, die ersten beiden je acht Minuten, die letzten drei jeweils mehr als eine Viertelstunde lang. In der Tat unterscheiden sich diese Tracks, auch wenn das Album einen Fluss ergibt. Die Musiker steigen ein mit Jazz, Dub, Industrial und Techno, lassen die Bassklarinette warm irrlichtern und generieren synthetische Rhythmen dazu, alsbald sogar spartanische Harmonien und an Achtziger-Pop erinnernde Synthieflächen, bald eher Zirpen, Zischen, Klickern. Eine liebliche Flöte, eine Klarinette, ein Klavier finden Anwendung, gelegentlich die orientalische Laute Tar. Manche Töne klingen nach Spinett, ein Schlagzeug gibt es auch in analog zu hören.
Die Grundstimmung dieser minimalistischen Musik ist eher dunkel, das steht ihr gut zu Gesicht. In der Kombination aus scheinbar willkürlichen Melodien und Electroeffekten erinnert „Homayoun“ leicht an die tschechische Band DekadentFabrik, an anderer Stelle fühlt man sich von der Klarinette in Richtung Klezmer entführt, besonders dann, wenn sie munter tiriliert oder mit den anderen Elementen ausnahmsweise mal harmoniert und nicht selbstversunken umherirrt. Etwas Spaghettiwestern weht außerdem punktuell durch die Prärie, das beiläufige Orientalische liegt schon in der Tar verankert. Die einzelnen Elemente, die die drei Musiker hier zur Anwendung bringen, sind wunderbar, nur lassen sich die drei auf gesamter Strecke etwas zu viel Zeit, eine Straffung der Aufnahmen hätte dem Hörgenuss gutgetan, an ein, zwei Stellen fühlt man sich musikalisch sogar eher genervt als herausgefordert.
Laut Info waren zwei der drei Musiker im Mai 2022 mit dem Fahrrad in Berlin unterwegs, um im Studio von BrandtBrauerFrick auf den dritten zu treffen. Ob es sich dabei um einen Zufall handelte, sagt die Info nicht, und auch nicht, welche Bedeutung die Fahrräder dabei hatten. Bei den Radfahrern handelt es sich um David Rothenberg und Bernhard Wöstheinrich, im Studio wartete Ali Sayah auf die beiden. Alle drei haben üppige Bio- und Discographien: Ali Sayah, 1981 in Teheran geboren, studierte visuelle Kommunikation, nahm dies zur Basis, um Visual Artist zu werden, und ist außerdem noch Musiker in Persischer und Indie-Kultur. Hier spielt er Bass und Tar. Bei David Rothenberg handelt es sich um einen 1962 in den USA geborenen Jazz-Klarinettisten – und Philosophen, mit einer Vielzahl an Publikationen. Und an Musikveröffentlichungen, eigenen wie Gastauftritten. Hier bedient er Klarinette, Bassklarinette und iPad. Als drittes musiziert der 1968 bei Gütersloh geborene Grafikdesigner, Maler und Multimedia-Künstler Bernhard Wöstheinrich mit. Solo, als The Redundant Rocker und in diversen Bands veröffentlichte auch er bereits Dutzende Alben. Hier trägt er Piano, Keyboards, virtuelle Synthesizer und Sequencer bei.
Ganz viel Kunst also, und die setzt sich nicht nur in der Musik durch, sondern auch im Titel: „Homayoun“ (همایون) ist Persisch und heißt Glück oder glückverheißend – und ist außerdem die Bezeichnung eines musikalischen Modus‘ im Dastgāh-System, und dabei wiederum handelt es sich um ein modales System in der traditionellen Persischen Kunstmusik, das durch seine Tonabstände charakterisiert wird. So weit die schnelle Recherche – was das genau bedeutet und ob sich das tatsächlich auch auf dem danach benannten Album niederschlägt, wissen vielleicht einige Musikwissenschaftler oder Berliner Radfahrer.