Von Paul Hartney Matthias Bosenick (09.11.2024)

Das muss man erstmal alles sehen, wenn es eigentlich ausschließlich etwas zum Hören gibt: Wenn die Hörspielvorlagen dialoglastig sind und man sich vornimmt, auf der Bühne den Mund zu den erzählten Geschehnissen zu bewegen, wäre es für die Zuschauenden ausnehmend langweilig, stünden die Figuren tatsächlich nur so luftplappernd herum. Also findet das Ensemble des Wuppertaler Vollplaybacktheaters das, was die Leerstellen füllt, und bringt es auf die Bühne. Ihre aktuelle Show „John“ widmen die fünf einmal mehr dem Geisterjägermeister John Sinclair, schnippeln dafür die Episoden „Achterbahn ins Jenseits“ und „Die Gruft mit dem Höllenauge“ sinnvoll zusammen, finden allerlei passende Extrakte aus anderen Quellen und versetzen das Publikum mitten hinein in einen mitreißenden Film. Das Gleichgewicht zwischen Story und Witz funktioniert hier ausgezeichnet, und natürlich treten Die drei ??? auch mal kurz auf; Glück dabei, dass es in deren Episode „Zwillinge der Finsternis“ einen Mr. Sinclair gibt.

Eine Kirmes auf einem früheren Friedhof weckt schon mal unfreundliche Geister, und wenn dann in der Gruft unten drunter auch noch der aus der Art geschlagene Vorfahr John Sinclairs des gleichen Namens die Kräfte für eine menschenvernichtende Rückkehr aus der Hölle vorbereitet, hat der Geisterjäger mit dem titelgebenden Gehfehler alle Hände voll zu tun. Erstaunlicherweise klingt die Story nicht wie ein Zusammenschnitt zweier unabhängiger Geschichten, das ist mal wieder große Kunst vom VPT. Und dann noch die ganzen Zwischenschübe, die gar nichts mit John Sinclair zu tun haben, sondern thematisch bestens passen, da beweist das Team einen sehr weiten kulturellen Horizont – und die Fähigkeit, trotz des untergebrachten Ideenreichtums die Nachvollziehbarkeit der Handlung nicht aus den Augen zu verlieren.

Natürlich ist es ein Fest, die Originalquellen der Samples zu erkennen. Besonders in der Szene mit der „Schwarzen Katze“ aus dem Rocky-Beach-Universum birgt viele Sonderquellen, etwa in der Schießbudenszene die ganzen weltberühmten Oneliner aus Hollywood-Actionfilmen wie „Hasta la vista, Baby“ oder der The Kiffness-Remix der „They’re eating the pets“-Trump-Rede. Klassiker wie „Isch hab zweehundert Puls … bald!“ kennt man noch, aber wer keinen Account bei TikTok hat, geht bei manchen Memes leer aus, sofern er sie nicht auch auf anderen Social-Media-Plattformen kredenzt bekommt. Wie „Siegfried & Joy“, die beiden Pseudo-Magier, denen das VPT hier den Trick mit dem Verschwinden hinter einem goldenen Tuch entlehnt, inklusive Einspieler von Céline Dion, was eine weitere Gabe des Ensembles unterstreicht: Wenn eine Idee technisch nicht umsetzbar ist, einfach diese Unmöglichkeit als Gag einbauen und besonders ungeschickt darbieten.

Gute Augen braucht man ebenso, weil das VPT viele Wortwitze bildhaft umsetzt. Zwei Magazine „Mit Silberkugeln“ muss man schon lesen, den am Vollmond im Bühnenhintergrund vorbeifliegenden ET im Halbdunkel erkennen können. Andere Gags generiert das Team pointiert aus den Dialogen heraus. Und trotz dieser Gagdichte gönnt sich das VPT auch Strecken ganz ohne Verschnitt, wenn es die Geschichte erfordert, und das dann sogar ganz ohne Langeweile. Als wäre das alles nicht schon grandios genug, finden die Wuppertaler für die Umbaumomente passende Songs aus Hard Rock und Heavy Metal, etwa „Fear Of The Dark“ von Iron Maiden. Da eben niemand alle Anspielungen erkennen kann, entdeckt jeder eine andere und kommt auf seine Kosten. Was das VPT dieses Mal außerdem besser macht: Es verzichtet auf pubertäre Witze und hält die publikumsmotivierenden Mitklatsch-Sequenzen so reduziert wie möglich.

Nach zweieinhalb Stunden verabschiedet man sich von seinen herzlichen Zufallsbekanntschaften, lässt sich seine Eintrittskarte von allen fünf Mitgliedern signieren, erwirbt ein T-Shirt am Merchandise und tritt glücklich in die nassgraue hannöversche Novembernacht. Danke, liebes Vollplaybacktheater, für Jahrzehnte der Freude.

Vollplaybacktheater-Touren seit 1997, gesehen [verpasst]:

[– Das Geheimnis der Särge 1997]
[– Der Superpapagei 1999]
– Die rätselhaften Bilder, FBZ Braunschweig 1999
– Das Geheimnis der Särge, FBZ Braunschweig 1999/2000
– Das Leichenhaus der Lady L., FBZ Braunschweig 2000
– Toteninsel, FBZ Braunschweig 2000/2001
– Toteninsel, FBZ Braunschweig 20.10.2001
[– John Sinclair meets Hanni & Nanni 2002]
[– Hanni & Nanni go Space 2002]
– Banditen, Bars & Butterbrote (Hanni & Nanni vs Edgar Wallace: Das Gasthaus an der Themse), Jolly Joker Braunschweig 2003
– Die singende Schlange, Brunsviga Braunschweig 21.10.2004
– Das Gespensterschloß, Brunsviga Braunschweig 11.10.2005
– Der Teufelsberg, Capitol Hannover 11.05.2006
– Der Superpapagei, Staatstheater Braunschweig 09.05.2007
– Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen Clubtour (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart), Brunsviga Braunschweig 13.05.2008
– Die bedrohte Ranch, Capitol Hannover 04.11.2008
– TKKG: Das Paket mit dem Totenkopf, CD-Kaserne Celle 14.03.2010
– Der Karpatenhund, Cäciliensaal Oldenburg 12.03.2011
– Die schwarze Katze, Lindenhalle Wolfenbüttel 17.04.2012
– Niemals geht man so ganz (Der Superpapagei), Lindenhalle Wolfenbüttel 26.11.2012
[– Hinterm Horizont (John Sinclair: Das Horror-Schloß im Spessart) 2013]
– Pulp Fiction, Rudolf-Steiner-Schule Wuppertal 12.03.2015
– Der Phantomsee, Theater am Aegi Hannover 01.03.2016
– Der grüne Geist, CongressPark Wolfsburg 22.02.2017
– Das Gespensterschloß, CongressPark Wolfsburg 15.02.2018
– Sherlock Holmes und die Liga der außergewöhnlichen Detektive, CongressPark Wolfsburg 14.03.2019
– Helden der Galaxis, Lindenhalle Wolfenbüttel 04.03.2020
– Der heimliche Hehler, Lindenhalle Wolfenbüttel 10.02.2024
– John – „Den rechten Fuß vor, das linke Bein nachziehen“-Tour, Theater am Aegi Hannover, 07.11.2024