Von Matthias Bosenick (02.03.2016)
Während Hannover 96 in einem Dienstagsspiel der Fußballbundesliga der Herren mit dem VfL Wolfsburg als Kontrahent gegen den Abstieg ankämpfte, trat das Vollplaybacktheater nur wenige Meter weiter zum bereits zweiten Mal auf seiner Comebacktour mit dem zweiten Drei-Fragezeichen-Hörspiel „…und der Phantomsee“ im ehrwürdigen und trotz des massentauglichen Parallelprogramms wieder rappelvollen Theater am Aegi auf. In der Halbzeit, wohlgemerkt: des Stückes, nicht des Spiels, blickte der Nebenmann auf seinen Liveticker im Mobiltelefon und stellte beim Rückstand der Hannoveraner von 0:3 fest: „Hier her zu kommen, war die richtige Entscheidung.“ Je nachdem, für wen man hält, dachte sich der dies schreibende Braunschweiger und nickte verständnisvoll. Am Ende verloren die Gastgeber 0:4, dafür war das Theaterstück wenigstens oberes Mittelfeld der Ersten Liga. Und der Rezensent war vermutlich der einzige, der nach dem Schlusspfiff beider Veranstaltungen an einer Ampel von im Auto vorbeirollenden VfL-Fans erkannt wurde.
Eigentlich hatte das Vollplaybacktheater eine Pause eingelegt, und eigentlich hätte „Pulp Fiction“ im vergangenen Winter die Comebacktour sein sollen. Aufgrund widriger Umstände fiel die aus, bis auf ein paar Shows in Wuppertal, und fand nun im „Phantomsee“ einen Ersatz. Die Folge gehört zu den guten, mit vielen Schauplatzwechseln, Rätselraten und Schatzsuche sowie einem undurchsichtigen Fiesling namens Java Jim als Opponent. Eine gute Folge, um sie sich in visueller Darstellung zu geben. Fand auch das Vollplaybacktheater und stellte sie visuell dar, wie immer gestreckt mit Artfremdem. Wie ebenfalls immer resultieren die Querverweise aus wahlweise inhaltlicher („Fluch der Karibik“, „Fight Club“, „Jim Knopf“) oder stimmlicher („Ödipussi“) Ähnlichkeit. Manchmal waren es eben auch einfach nur Wortspiele, wie im Falle des Ausrufs „Das ist ja Stuhl“ aus Helge Schneiders „Texas“, weil jemand in einem Kotflügel trat.
Die Wortspiele sind eine von zwei Stärken des Ensembles. Kaum jemand anders hätte bei „Veränderung im Gang“ an eine abgewandelte Fortbewegungsart gedacht. Die zweite große Stärke sind die Mash-Ups. Immer, wenn die Wuppertaler fremde Szenen einfügen und sie mit Drei-Fragezeichen-Samples durchsetzen, kommen die besten Gags heraus. Die aus der „Pulp Fiction“-Show übernommene Restaurantszene etwa (die mit den Eissorten, deren Quelle das VPT beharrlich verschweigt) war einfach der Hit. Oder die mit den Flatulenzen: Das war vermutlich einer der ersten Furzwitze überhaupt, der wirklich lustig war. Die dritte große Stärke – niemand erwartet die spanische Inquisition – ist, was das Team sieht, während andere weghören. Onkel Titus hatte keinen Text mehr? Dann konnte er auch vom Dolch erstochen werden. Als vierte große Stärke sei der perfekte Dilettantismus angeführt: Die Darsteller schoben selbst die Kulissen herum, der Regen wurde von an ein Regenschirmgestell geknoteten blauen Krepppapierbändern dargestellt, Möwen baumelten an einem Mobile herum, das Meer bestand aus blau verkleideten Tänzern mit Schlumpfmützen in Wellenform – und es war völlig in Ordnung so. Da kann sich Deichkind eine dicke Scheibe von abschneiden: Man kann auch perfekt sein, ohne glatt zu werden.
Indes – wenn gerade keine Wortspiele möglich waren, keine Mash-Ups anstanden und das VPT einfach nur vor sich hin zitierte, dann war das Stück auch mal langweilig. Nie so sehr, dass man sich ärgerte, die Unterhaltung blieb gut, aber der auf die Bühne gehievte „Phantomsee“ erschien an mancher Stelle etwas brav und kalkuliert. Man setzte auf Bekanntes („Zurück in die Zukunft“), was zwar gut war, aber zumeist vom schlichten Wiedererkennen lebte und weniger von der brillanten Einbindung. Unangenehm war der Darstellerwechsel bei zwei von drei Titelhelden: Justus und Bob sahen ganz anders aus. Das war fast so, als hätten sie jetzt andere Stimmen gehabt. Nach all den Jahren mit den VPT-Gesichtern im Kopf haben Die Drei Fragezeichen für den Rezensenten auch beim Hören längst ein klares Aussehen. Immerhin, die bisherige Bob-Darstellerin Britta Lemon agierte als neuer Justus wie weiland ihr Vorgänger Dokter Thomas. Der neue Bob war aber viel zu groß. Sven Blievernicht als 2,50-Meter-Mann wiederum ließ sich wie immer auf alle möglichen Rollen ein; besonders gut war er als Clunny, der kleine Junge. Er war im Wortsinne riesig. Und Peter alias Supaknut bekam wie immer den größten Applaus. Verdient, wie das ganze Ensemble. Trotz der leichten, nun: Erholpausen im Stück. Man geht ja trotzdem auch nächstes Mal wieder hin.