Von Matthias Bosenick (17.05.2012)
Ensembleproduzent Tim Burton lenkt seine Subversivität in hollywoodtaugliche Bahnen. Diese Entwicklung war schon seit einer ganzen Weile zu beobachten, aber in „Dark Shadows“ wird sie am bisher deutlichsten. An sich ist der Film – basierend auf einer 60er/70er-Fernsehserie – nicht übel, behandelt er doch die essentiellen Werte des Lebens, solche wie hingebungsvolle Liebe, Familienzugehörigkeit, Moral, Toleranz und dergleichen mehr. Im Gegensatz zu etwa Clint Eastwood in „J. Edgar“ versteckt Burton seine Haltung in „Dark Shadows“ nicht, wenngleich er eine gewisse Kompromissbereitschaft zeigt, gegen manche der Werte zu verstoßen, um die Geschichte zum Ende zu führen.
In dieser Geschichte nun verdammt die Hexe Angelique Bouchard aus zurückgewiesener Liebe und verletzter Eitelkeit den Fischereimagnaten Barnabas Collins dazu, zum ewig lebenden Vampir zu werden, und sorgt dafür, dass er in diesem Zustand vergraben wird. Außerdem bringt sie Barnabas‘ Liebe dazu, sich von einer Klippe zu stürzen. Knapp 200 Jahre später, im Jahr 1972, öffnen Arbeiter versehentlich seinen Sarg. Barnabas sieht sich einer Gegenwart gegenübergestellt, in der seine Familie degeneriert und am finanziellen Abgrund in der nach ihr benannten Stadt Collinsport im alten Schloss haust, während die Hexe zur regional größten Fischereiindustriellen avancierte. Barnabas sortiert seine Familie neu, sucht frisches Blut, entdeckt in der Gouvernante Victoria eine Wiedergeburt seiner Verflossenen und setzt sich zum Ziel, die Hexe zu vernichten. Im großen Showdown wimmelt es von Geistern, Werwölfen und anderen Spukgestalten.
Die Geschichte schlägt einige Haken und verläuft, kennt man das Ende, so zwingend, dass man sie rückblickend für vorhersehbar hält. Dabei ist das Drehbuch an einigen entscheidenden Stellen erfreulich konsequent, etwa, dass Barnabas nicht dauerhaft dem Charme der Hexe verfällt oder dass der Rabenvater der Familie Collins, vor die Wahl gestellt, ob er sein lasterhaftes Leben aufgibt oder verschwindet, sich unhollywoodtypisch nicht für die heile Welt entschließt. Einige Gags sind ganz nett, etwa Barnabas‘ veralteter Sprachstil, dass der leibhaftige Alice Cooper inmitten des Monsterreigens „No More Mr. Nice Guy“ und „Ballad Of Dwight Fry“ singt, oder dass Barnabas das McDonald’s-M für das Zeichen des Mephistopheles hält. Die Effekte sind ganz schön, besonders die der Gruselanteile. Und die Schauspieler gefallen, von Johnny Depp (der bisweilen etwas zu sehr an den leidenden Frodo erinnert) über Michelle Pfeiffer bis zu Eva Green und Jackie Earle Haley, der in „Watchmen“ den Rorschach spielte.
Es gibt aber auch einiges zu bemängeln. Trotz diverser Morde und Leichen nahm Burton die ihm typische Düsternis sehr zurück. Als etwa die Fischkonservenfabrik explodiert, erinnern die Farben zu stark an optische Einlullsendungen wie „Wer wird Millionär“. Dann ist die Geschichte zwar interessant, aber nicht innovativ, denn sie besteht aus lauter bekannten Versatzstücken, auch für die Zuschauer, die die Originalserie nicht kennen. Da lässt es Burton massiv an Kreativität und Einfallsreichtum fehlen. Der Film zitiert so sehr andere Werke, dass es ihm an Identität mangelt. „Addams Family“ kommt einem sofort in den Sinn, die Monstervielfalt gemahnt an „Frankensteins Tante“. Barnabas rezitiert selbst den fürchterlichen Satz „Liebe bedeutet, niemals um Verzeihung bitten zu müssen“ aus „Love Story“. Mit Alice Coopers Auftritt deutet Burton selbst auf „Wayne’s World“. Leute, die nach Jahrhunderten in den 70ern wieder aufwachen und sich arrangieren müssen, kennt man aus Filmen wie „Louis, der Giftzwerg“. Und Vampirfilme kann heutzutage ja nun wirklich kein ernstzunehmender Kinogänger mehr sehen, wenngleich natürlich das Vampirthema in „Dark Shadows“ nicht der Inhalt, sondern das Vehikel für den Inhalt ist
Den vielen unterschiedlichen Figuren gibt Burton außerdem keine Zeit, sich zu präsentieren, weshalb sie einem bis zum Schluss völlig egal sind. Die Charaktere bleiben stereotyp, bis auf die Psychologin, gespielt von Burtons Lebensgefährtin Helena Bonham Carter. Dadurch, dass der Film gleichsam eine dramatische Geschichte, diverse Gruselinhalte und Humor kombinieren will, zieht er keinen der Anteile konsequent genug durch. Und: Abgesehen vom 70er-Jahre-Soundtrack ist der Score von Danny Elfman wieder extrem kleisternd und nervig. Offen bleibt übrigens, warum die Hexe, die man im emotionslos galoppierenden Prolog noch als Kind vorgestellt bekommt, ab einem bestimmten Punkt aufhört zu altern.
So sind zwei Stunden „Dark Shadows“ zwar okaye Kinounterhaltung, aber ob man den Film ein zweites mal sehen will, ist fraglich. Nicht aus dem Ekelgrund wie bei „Sweeney Todd“, sondern einfach, weil einem die Ideen zu banal sind, um sich ein zweites Mal an ihnen zu erfreuen. Die Wiedersehensfreude etwa bei „Corpse Bride“ oder „Mars Attacks!“ hält bis heute an. Für Oktober arbeitet Burton seinen Kurzfilm „Frankenweene“ neu um – mal sehen, wie der wird.