Von Matthias Bosenick (21.05.2024)
Man taucht ab in einen Soundtrack zu einem Film, der maßgeblich aus schwarzweißen Kamerafahrten durch zerklüftete Landschaften besteht, in denen das Leben komplizierte Herausforderungen bereithält. Entsprechend schwermütig sind die Klavier-, Äther- und Drone-Stücke auf „Vurga“, dem ersten Album des in Italien und der Schweiz arbeitenden gebürtigen Bellenzers Danilo Ligato, der indes eine gewisse Wärme aus seiner klassiknahen Musik nicht heraushalten kann. Wer den ganzen Tag auf Alpen guckt, verarbeitet diesen massiven Anblick wohl zwischen gelassener Schicksalsergebenheit und Schwermut. Heraus kommt dabei ganz klar Kunst, und zwar eine, die man intensiv genießen kann.
Das warme, mit Hall unterlegte Piano nimmt auf „Vurga“ weite Strecken ein. Da Ligato viele seiner Stücke auf Improvisationen fußen lässt, spielt er selten nachvollziehbare, catchy Pieces auf seinem Instrumentarium, sondern assoziative Skulpturen, zerbrechlich und durchlässig, die sich an die gebirgige Landschaft anpassen. Andere Tracks bestehen aus nicht nur auf Streichinstrumenten generierten Flächen, die einerseits bisweilen beinahe in sanfte Drones übergehen, andererseits auch in ein ätherisches Hauchen, wie Nebelwolken über Bergseen und Felskämmen. Eingearbeitete Glockensequenzen verweisen auf den Katholizismus jener Region. Selbst eine Euphorie kann Ligato nicht verbergen, und sei sie auch noch so unterschwellig, aber es ist ja bekannt, dass hohe Töne glücklich machen, und so setzt er sie einmal auch ein.
Das Leben in solchen Weltengegenden besteht offenkundig aus Mühsal, aber mit einem genetisch vorgegebenen Stoizismus trägt man die Lasten bereitwillig und ist sogar dazu in der Lage, die Schönheit der Umstände zu erfassen. Urwüchsige Berge gebären urwüchsige Bewohner, und die gestalten urwüchsige Kunst. Anstatt ohnmächtig vor der Kulisse einzuknicken, verehren sie sie auch noch, und so kommt es, dass auch „Vurga“ an mancher Stelle etwas Sakrales innewohnt.
Ligato spielte „Vurga“ komplett allein ein, wie schon 2021 seine Debüt-Single „Rizieri“ und 2022 die EP „Fernweh“. Gebürtig stammt der Künstler aus Bellinzona im Schweizer Kanton Tessin, nahe der italienischen Grenze und in Wurfweite zum Lago Maggiore. Seiner künstlerischen Arbeit kommt er in Treviglio sowie dem benachbarten Mailand und der Schweiz nach. Seine Musik stellt nur ein Teil seiner Kunst dar, seit 2010 ist er zuvorderst an Ausstellungen und Performances beteiligt.
Will man „Vurga“ kategorisieren, kann man nur scheitern – hier ist zu viel Widersprüchliches enthalten, von Klassik über Ambient, Impro, Drone bis Soundtrack. „Vurga“ entfesselt das Kopfkino.