Cytotoxin – Biographyte – Cytotoxin 2025

Von Guido Dörheide (14.04.2025)

Chemnitz – die Stadt mit den drei O (jahaa, Onkel, ich weiß – nicht Cottbus, sondern Chemnitz) – ist nicht nur die Heimat des Nüschel (Oder sagt man, „des Nüschels“? Oooooonkel!!! Lern mich das bitte mal), sondern auch der technisch/deathmetalisch überaus versierten Tech-Death-Combo Cytotoxin.

Grimo (voc), Fonzo (git), Mathias (git, ohne Scheiß, Mathias ist ein Künstlername), V.T. (bass) und Maximilian Panzer (dr, kein Künstlername) bzw. des Letzteren Vorgänger Ollie und Stocki sind immer schon Spaßvögel, wenn es um die Albumbetitelung geht. „Plutonium Heaven“ (2011), „Radiophobia“ (2012), „Gammageddon“ (2017), „Nuklearth“ (2020) und nun „Biographyte“. Klingt alles wie die strahlende Zukunft des Tech Death, und Bingo: Cytotoxin beziehen ihre Inspiration aus der nuklearen Katastrophe von Tschernobyl und malen dementsprechend düstere Krachlandschaften an die Wand.

Wenn man die Schlagzeuggeschwindigkeit und die sehr schnellen Frickelriffs (Powerchords sind wohl eher was für den Nicht-Tech-Death, es sei denn, sie werden palmgemuted) von Cytotoxin hört, kommt man schnell zu der Überzeugung, dass es sich hier wohl um große Fans der leider wohl tatsächlich nicht mehr existierenden Necrophagist (die Beethovens des Tech Death) handelt. Wobei das Schlagzeug bei den Pilgrim Fathers des teutonischen Technical Death Metals ein wenig mehr rumpelte. Gesangstechnisch steht Grimo dem Chefnekrophagisten Muhammed Suiçmez in Nichts nach, außer, dass Suiçmez eventuell teilweise noch barbarischer grunzt als Grimo. Muss er auch, da er sich anstatt an der nuklearen Katastrophe immerhin an Themen abarbeitet, die ansonsten eher bei den frühen Carcass zu finden waren (wie schon der 1999er Albumtitel „Onset Of Putrefaction“ verdeutlichte) Aber Schwamm drüber, die Liga ist dieselbe und um die Titel von Cytotoxin zu verstehen, braucht man immerhin keinen Pschyrembel (DAS wäre in der Tat auch ein feiner Name für eine Tech-Death-Band, Steinlaus hin oder her).

Was für eine Wohltat für Seele, Ohren und Gedärm die Musik auf „Biographyte“ ist, offenbart sich bereits beim Cover-Artwork: Wo inzwischen auf vielen Metalalbencovers oft eklig eklektizistische Computerkunst unverständlicherweise von der oft sehr hohen Qualität des Dargebotenen ablenkt, passt bei Cytotoxin wirklich alles: In warmen Bernstein- bis Grüntönen ist ein liebevoll gestalteter Gasmaskenmann gezeichnet, angekettet durch die verstrahle Wüstenei von Pripyat krabbelnd und sowas wie einen Betonsarkopharg auf dem Rücken tragend, vor ihm ein Atom-Warnschild und diverse Plutoniumfässer, würde ich mal sagen. Knarrenheinz meets „Piece Of Mind“ meets Tschernobyl 1986.

Nicht umsonst nennen Cytotoxin ihre Musikrichtung auf ihrer Website „Chernobyl Death Metal“, zwischendurch sind immer mal wieder knackende Geiger-Müller-Zählrohre zu hören und die Texte von „Biographyte“ beschäftigen sich mit verschiedenen Orten, anhand derer die Geschichte der Tschernobyl-Katastrophe nacherzählt wird. Wie gut es Cytotoxin gelingt, an eine beispiellose Vorführung menschlicher Ignoranz, gepaart mit einer Verkettung unglücklicher Umstände und physikalischer Unvermeidbarkeiten zu erinnern und dabei ein auf der einen Seite dystopisches, auf der anderen Seite aber sehr gut hör- und genießbares Pandämonium zu entfachen, ist beeindruckend und wird von treffenden Texten flankiert. Das Eröffnungsstück „Hope Terminator“ handelt beispielsweise davon, dass die Evakuierung von Pripyat damals nicht schnell und konsequent genug vorangetrieben wurde, sondern dass der Bevölkerung stattdessen eine Sicherheit vorgegaukelt wurde, die es nie gab („Seconds decide creation or destruction / The major authorities let time pass by / Let time pass by“).

Der Song startet mit einem unfassbar schnellen Schlagzeug und den oben schon erwähnten hohen und quietschigen Necrophagist-Riffs, dann setzt Grimos Gegrowle ein, dann haufenweise Breaks und Palm-Muting-Gitarrenriffsalven. Gegen Ende kennt der Gesang weiterhin keine Gnade, währenddessen die Gitarren für einen sehr melodischen Ausklang des Songs sorgen.

Dass Cytotoxin auch anders können, als die Hörenden permanent unter Dauerfeurer zu nehmen, zeigen sie beispielsweise auf „Behind Armored Doors“. Der Song entfacht zunächst die typische tempoorientierte Härte der Band, wird dann langsamer und geradezu hymnisch.

Eins der Highlights auf „Biographyte“ ist für mich „Bulloverdozed“, wegen seiner Härte, seiner Brachialität, der Melodik in den Riffs, kurzum wegen allem, was die Musik von Cytotoxin ausmacht. Knapp fünf Minuten lang treibt hier alles nach vorn und haut auf die Zwölf, brachial und trotzdem filigran. Das soll erstmal einer nachmachen. Zwischendurch gibt es dann ein wirklich lässiges Riff, das in ein schönes Solo übergeht, derweil der Rest der Band weiter Krach macht und auf einmal wird wieder gebrüllt. Die Melodie im Hintergrund läuft aber weiter und entzückt über die Maßen. „Transistion Of The Staring Dead“ wird dann von einem grandiosen Bass eingeleitet und ist auch wieder wirklich schnell. Kurz nach Ende der ersten Minute kommt dann ein Gitarrensolo, kurz, auf den Punkt gebracht und die nächste Growl-Tirade einleitend. So geht songdienlich, so geht Zusammenspiel in einer Band, in der jeder weiß, was er tut und tut, was er am besten kann.

Der Spoken-Word-Track „Revelation“ sorgt dann für humoreske Momente, erst Geigerzähler, dann zitiert ein Zitator mit sehr deutsch eingefärbtem Englisch die Akopalütze des Johannes. Und dann startet „From Bitter Rivers“, das letzte Stück des Albums. Mit seehr melodischen Gitarrenriffs, fernab des Tech Death, fernab des Death überhaupt. Einfach nur wunderschön, metallisch und melodiös. Dann weist Grimos übliches Gegrunze darauf hin, wo wir hier sind, der über die Maßen grandiose Bass sorgt dafür, dass alles irgendwie immer noch eine Wärme ausstrahlt (hihi – Chernobyl Metal, und dann „ausstrahlt“, jahaaa, hihi, Dad Jokes auch hier!), das hohe Quietschen ist dem Riffing entwichen, alles klingt dumpf und bedrohlich und wunderschön. Die Soli werden hinter den Gesang gelegt, Stimmung, Gänsehaut, hier und da ein krachender Bass, teilweise ist der Gesang das schnellste und abgehackteste Instrument – genau so geht ein furioses Albumfinale.

Wieder einmal mehr zeigen Cytotoxin, dass dieses unsere Land nicht nur die Heimat großartigen Trash Metals oder der Scorpions aus Sarstedt bei Hannover ist, sondern auch quasi sowas wie das Silicon Valley des Tech Death.