Von Matthias Bosenick (06.06.2015)
Die zweite Staffel der Belgischen TV-Serie „Code 37“ schlägt diverse andere Richtungen ein, verglichen mit der ersten: mehr Humor, mehr Explizität, mehr Gewalt, mehr Nacktheit, mehr Gewicht auf die Rahmenverschwörung, komplexere Fälle. Nicht jeder dieser Aspekte ist positiv, wenngleich das der hohen Qualität dieser Serie an sich keinen Schaden zufügt. Da die Serie im Sittendezernat spielt, sind die geschilderten Sachverhalte in vielerlei Hinsicht schwerer Stoff, sei es in Sachen Gewalt gegen andere oder in Bezug auf die psychischen Folgen solcher Erlebnisse. Die Serie punktet mit den vierköpfigen Ermittlerteam, dessen Mitglieder in ihrer Verschrobenheit sehr liebenswürdig sind, und mit einer eigenen angenehm ästhetischen Bildsprache.
Anhand der vier Ermittler ziehen die Serienmacher eine scharfe Grenze: In einer Bar eine Frau aufreißen, sexuelle Phantasien mit dem Nachbarn, promiske Unentschiedenheit in der sexuellen Ausrichtung, das ist alles normal und bedarf keiner moralischen oder gar polizeilichen Verurteilung. Doch die Fälle, mit denen die Kriminalbeamten betreut sind, verdeutlichen deren eigene Moralität, die sie damit auch auf den Betrachter übertragen: Alles darüber hinaus, gegen der Willen anderer oder mit Gewalt Erzwungenes ist mitnichten cool, vertretbar, entschuldbar, sondern einfach mal rettungslos scheiße. Sie stehen oft fassungslos vor den Tätern, die sich keiner Schuld bewusst sind und ihre Untaten auch noch rechtfertigen. Solches tun nicht ausschließlich Männer; einmal ist es eine 50-Jährige, die einen Minderjährigen verführt und in den Suizid treibt.
Diese Episode gehört noch zu den harmloseren. In anderen werden Missbrauchsopfer in Gruppenvergewaltigungen verstümmelt und getötet, wird eine Domina mit einem Messer geritzt, wird eine Prostituierte die Treppe heruntergestoßen, vergreift sich ein Serienvergewaltiger in deren Zuhause an Frauen, wird eine Frau beim Sexvideodreh erwürgt. Gerne fällt im Zusammenhang mit solchen Darstellungen die Wendung von den „menschlichen Abgründen“, in die man da zu blicken hat, und mit denen auf schockierende Weise ein Kontrast zur Normalität hergestellt wird. Doch war der Betrachter in der ersten Staffel noch vornehmlich auf seine Phantasie angewiesen, um die Abnormitäten zu erfassen, sind sie in der zweiten Staffel unnötigerweise viel deutlicher zu sehen. Dieser Umstand steht im krassen Kontrast zu dem Bestreben, die Täter als das stehen zu lassen, was sie sind, nämlich mindestens Arschlöcher, denn eine solche Darstellung grenzt unter Umständen an Verherrlichung. Nicht ohne Grund ist diese Staffel erst ab 18 Jahren freigegeben.
Etwas deplatziert ist bisweilen auch die Tendenz, Chefin Hannah Maes häufiger nackt zu zeigen oder ihre Sexphantasien ausgiebig zu visualisieren. Ebenso unangemessen sind vermeintlich humorige Zungenküsse zwischen Hannah und ihrem Macho-Kollegen Bob de Groof oder der erwischte Waschkauensex zwischen ihrem Mitarbeiter Kevin Desmet und einer Kollegin. Gelegentlich unwohl fühlt man sich als Betrachter, wenn die drei sehr verschiedenen Männer des Teams insbesondere mit Blick auf sexuelle Themen miteinander aufs Fieseste frotzeln; indes halten die vier Polizisten extrem zusammen, sobald Keile von Extern zwischen sie getrieben werden, und das macht sie ausgesprochen sympathisch.
Parallel zu den Episodenfällen ermittelt Hannah in eigener Sache: Ihre Mutter wurde acht Jahre zuvor vor ihren und den Augen ihres Vaters, eines Richters, vergewaltigt; Hannah kommt dahinter, dass ihr verschollener Halbbruder bei einem Geheimdienst in Lohn und Brot stehen muss. Ihr Vater selbst gehört zwar zu denen, die versuchen, die Umstände zu vertuschen, gerät aber dennoch selbst ins Fadenkreuz der Verschwörer. War diese Rahmengeschichte in der ersten Staffel noch eine dezente Beigabe, nimmt die jetzt einen großen Anteil der Serie ein. Das ist nicht unangenehm, da sie, anders als in Staffel eins, nicht mehr nur aus ewigen Wiederholungen diverser Flashbacks besteht. Hier fühlt man sich vielmehr an Akte X erinnert.
Dies bisweilen auch visuell, in der Farbgestaltung etwa. Insgesamt findet die Serie dankenswerterweise eine eigene Bildsprache, die das Betrachten eben auch optisch reizvoll macht. Unterschiedliche Orte haben unterschiedliche Licht- und Farbästhetik; Hannahs Wohnung ist ganz anders dargestellt als das Polizeigebäude, Hannahs Autofahrten und Waldläufe sind schon filmisch erkennbar, bevor man sie inhaltlich erfasst. Enorm positiv ist etwa auch das wiederkehrende Muster zu Beginn eines Verhörs: Man hört Charles Ruiters‘ Zippo schnappen, sieht Zigarettenrauch rückwärts wabern und findet sich schnell geschnitten in einem dunklen Raum wieder.
Der Cliffhanger von Staffel eins wird hier aufgelöst, und natürlich endet auch diese Staffel mit einem weiteren. In Belgien erschien zwischen dieser und der dritten Staffel ein Kinofilm, der offenbar in der Serienchronologie die ersten beiden Teile der dritten Staffel einnimmt. Sehr schade ist erneut, dass die flämische Tonspur auf den DVDs nicht enthalten ist.