Von Matthias Bosenick (29.12.2023)
Nett. Ganz nett, doch. 23 Jahre nach „Chicken Run – Hennen rennen“ lässt das Knetgummifilmstudio Aardman, eben das mit „Wallace & Gromit“ und „Shaun, das Schaf“, seine Hühner abermals rennen, dieses Mal mit umgekehrten Vorzeichen: Es geht darum, in eine hochmoderne Hühnerfarm einzubrechen. Ganz zeitgemäß ist die Hauptfigur ein junges Mädchen, und zwar die Tochter des Geflügelpaars aus dem ersten Teil. Die Analogien zu Hollywoodfilmen sind Teil des Konzeptes, werden hier aber so sehr bedient, dass man sich mehr britischen Humor und mehr Punkrock wünscht. Solide Unterhaltung ist es allemal. Und streckenweise angenehm brutal.
Zunächst bekommt man den Ausgang des ersten Films aus dem Jahr 2000 flott zusammengefasst, in dem Rocky, der Zirkushahn, und Ginger, die Henne, die Belegschaft einer Hühnerfarm gegen die bösartige Leiterin Mrs. Tweedy aufbringt und aus dem Kriegsgefangenenlager befreit. Glücklich leben die Hühnchen nun auf einer Insel, Rocky und Ginger bekommen ein Ei, aus dem Molly schlüpft. Die ist, ganz Teenager, alsbald neugierig genug, das paradiesische Eiland zugunsten von noch mehr Paradies zu verlassen, und folgt den LKWs mit den aufgedruckten glücklich in Eimern sitzenden Hühnern, die am gegenüberliegenden Ufer zu sehen sind. Sie verbündet sich mit Frizzle, einem lila Küken mit ähnlichem Forscherdrang, und dringt in die verheißende Anlage ein. Dort stellt sich bald heraus, dass das durchgeknallte Paradies dafür sorgen soll, dass die Hühner vor der Verarbeitung zu Nuggets entspannt sein sollen, weil der Todesstress das Fleisch zäh macht. Während Molly den Kampf gegen die Maschinerie aufnimmt, naht von außen der aus dem ersten Teil bekannte Rettungstrupp. Natürlich steckt abermals Mrs. Tweedy hinter allem.
Liebevoll geknetet, wohnt jeder Figur ein ausdrucksstarker Charakter inne, das können sie bei Aardman einfach. Dazu hat jedes Huhn und jede Ratte – zwei solche helfen dem Retterteam – konkrete Eigenschaften, die im Zusammenspiel die Geschichte voranbringen und für entsprechende Gags sorgen, vom alten Kriegsveteranen Fowler über die begriffsstutzige Wieheißtsienoch und die Dings, die immer strickt, zum Beispiel ein Fahrrad für das Neugeborene. Dennoch ist die Gagdichte nicht so hoch und nicht so subversiv wie etwa im komplett sprachlosen „Shaun, das Schaf – UFO-Alarm“, weil hier mehr Gewicht auf den Verlauf der Story gelegt wird, und die folgt wiederum zu sehr Hollywood-Action-Methoden. Die todbringenden Schutzanlagen am Schluss sind immerhin angenehm schwarzhumorig, die in den Erzählfluss eingebetteten Ideen außerdem gut genug, um zu unterhalten, zum Beispiel die Feuerwerksrakete im Maissilo. Bediente sich der erste Film noch explizit bei Ausbruchsfilmen wie „Gesprengte Ketten“ oder „Flucht von Alcatraz“, bietet „Operation Nugget“ weniger direkte Genre-Vorlagen, auch wenn „Mission: Impossible“ oder diverse Nutty-Professor-Filme und etwas James Bond erkennbar sind.
Für die deutschsprachige Version ließ man vertraute Hörspiel- und Synchronsprecher ins Studio, die ihren Job gut machen. Dennoch weckt es den Wunsch, den Film im Original zu gucken; das lässt sich bei Netflix ja hoffentlich bewerkstelligen. „Operation“ Nugget“ ist bunte Unterhaltung, ganz witzige Kurzweil, die man jedoch unerwartet schnell wieder vergisst. Wahrscheinlich ist immerhin, dass so manche junge Zuschauerschaft anschließend kein Hühnchen mehr essen mag, das sei ein Gewinn. Ansonsten gibt es die sechste Staffel „Adventures From Mossy Bottom“ von „Shaun, das Schaf“ ja ebenfalls auf Netflix, und die ist ein Brenner.