Chaos Shrine – Shadows Of The Invisible – EEEE 2024

Von Matthias Bosenick (17.10.2024)

Zwei unveröffentlichte Songs und einen Remix kombiniert das Turiner Duo Chaos Shrine, bestehend aus dem klassisch ausgebildeten Komponisten Andrea Cauduro und dem Expermentalmusiker Paul Beauchamp, zu einer EP, bevor es sich an das zweite Album macht: „Shadows Of The Invisible“ ist ein feiner Titel für diese Art von abstrakter Musik, die man leicht in die Industrial-Schublade legen kann, obwohl die viel zu eng für die Musik hier ist. Die beiden ersten Tracks sind überraschend rhythmisch, das Wort Remix hingegen blendet die Erwartungen, denn tanzbar ist der Bonus-Track mitnichten. Rework passt da als Bezeichnung viel besser.

Das neunminütige „Furcas“ beginnt mit rückwärts zerhackten Effekten, man wähnt sich sogleich bei SPK, circa „Leichenschrei“, mit einer brummenden, fast schreienden Gitarre und ins Echo verhallenden leisen Schlageffekten. Ein, zwei weitere Samples dringen in den Track ein, verfremdete Sounds, minimalistisch geloopt, gedubbt, der dezent klopfende Beat bleibt erhalten, es ergibt sich ein leise kreischendes, gebrochenes Geräuschensemble, voller Dunkelheit, Dystopie, Zerstörung, das letztlich einfach abebbt.

Anschließend verwirrt das gut dreiminütige „Ose“ die Hörenden, da man erwartet, dass es so weitergeht, doch Chaos Shrine werfen dieses Mal einen minimalistischen Rhythmusgenerator an und erzeugen mit der Gitarre dazu einen staubigen Western-Twang. Beide Elemente variiert das Duo und erzeugt damit eine dauerhafte Spannung, die gern auch viel länger hätte Bestand haben dürfen, denn viel zu schnell endet der Track.

Und dann gibt’s noch das Rework: „Scox“, den Opener des Debütalbums „Mirror Division“, bearbeitet von Laura Agnusdei – und die generiert eine Soundcollage, mit nebelverhangenen Klackergeräuschen im Hexenwald, schwer atmenden Sounds im weiten, leeren Raum und einem freejazzigen Saxophon, das diese Gemengelage betritt und sofort bestimmt, bis alles verhallt und in einer Art atmosphärischem Gläserrandambient verlorengeht. Das Original ist noch drei Minuten länger und in den Grundzügen ähnlich, indes dezent rhythmischer, insgesamt transzendenter, alsbald gitarrenschreddiger. Was fehlt: das Saxophon, kein Wunder, ist Laura Agnusdei eine Saxophonistin aus Bologna, die sich kurzerhand in ihrem Rework selbst einbringt und dem Track somit wahrhaftig eine eigene Färbung verleiht.

„Shadows Of The Invisible“ ist eine EP, die das Duo Chaos Shrine zwischen zwei Alben einschiebt. Die beiden ersten Tracks sind aus den Sessions zum im April erschienenen Debütalbum „Mirror Division“ übriggeblieben und vom Duo als zu wertvoll befunden worden, um sie in der Schublade zu belassen, jedoch auch zu sehr am alten Material behaftet, um mit neuen Tracks kombiniert zu werden, daher die Idee zu dieser EP. Bereits im Dezember 2023 veröffentlichte das Duo außerdem die EP „Prolegomenon“. Shaos Shrine ist ein Begriff aus dem Videogame „Final Fantasy“, von Turin aus verwenden ihn Andrea Cauduro und Paul Beauchamp als Namen für ihr Projekt. Eine Zusammenarbeit zwischen den beiden gab es bereits im Januar 2023 auf dem reichhaltig instrumentierten Solo-Album „It’s Always Darkest Before The Dawn“ von Cauduro, das Beauchamp nämlich mixte.

Beauchamp hat eine lange Liste an Alben und Projekten, so veröffentlichte er einige Male Musik mit Jochen Arbeit und ist Teil von Bands wie Sikhara, Almagest!, Blind Cave Salamander oder Space Aliens From Outer Space. Cauduro, klassisch ausgebildeter Komponist, hat eine Discographie, die bestimmt ist von Neunziger-Indie, Noiserock, Punk sowie Kompositionen für Theater, Tanz und Ausstellungen. Höchst spannend also, dass aus zwei solchen musikalischen Biographien eine solche Musik entsteht.