Von Matthias Bosenick (12.04.2019)
Das Vorhaben darf man als erfolgreich gescheitert betrachten: Besonders evil und dark und gruselig und böse erscheinen will das Duo Cameraoscura mit seinem Debütalbum „Quod est inferius“ – und dann entpuppt sich deren Drone-Industrial als so wunderschön harmonisch, dass man es sich beinahe im Radio gespielt imaginieren mag. Damit entfernen sich die beiden Musiker von dem Klischee, das sie rein über die gruftigen visuellen Anteile des Albums selbst initiierten, und bieten vielmehr etwas Eigenes, indem sie Lärm und Schönheit in dieser überraschenden Weise eingängig verquicken. Will man dringend öfter hören.
Das Cover sieht beinahe nach irgendwelchem schwarzgemalten Metal aus, bestenfalls nach einer tiefergelegten Schublade aus dem Gothicrock-Bereich, doch trifft beides nicht einmal ansatzweise zu. Die Grundierung ist elektronisch: Marco Valenti aus La Spezia, Betreiber des zuständigen Labels Toten Schwan sowie des Fanzines Tritacarne, und Eugenio Mazza aus Mailand, Mitglied bei Pavor Nocturnus und Sognomeccanico, tauschten sich über den Apennin ihre Soundfiles und Loops hin und her und stellten alsbald fest, dass sie damit mehr als nur Skizzen generierten. Daraus erwuchs das Projekt Cameraoscura mit diesem Konzeptalbum als Debüt.
Denn „Quod est inferius“, also „Was darunter liegt“, befasst sich mit der Hermetik, also einer Form von Alchimie, die aus antiker bis frühkirchlicher Zeit in die heutige Esoterik schwappte. Als eine Art alchimistischer Prozess mischen Cameraoscura gelöste und geschmolzene Klänge, wie sie selbst sagen, und transmutieren sie in eine musikalische Manifestation, die ins auch auf dem Cover symbolisierte klassisch okkultistische Chaos münden soll. Je nun: Das misslingt, und das ist gut so. Die Musik ist alles andere als Chaos, trotz der tatsächlich vorhandenen rauhen und störenden Sounds mit entsprechenden Beats, die noch am ehesten dem Industrial zuzuordnen sind, wo nicht dem Drone-Ambient. Doch geben Valenti und Mazza diesem Granulat eben etwas Geschmolzenes bei, und das sind beinahe liebliche Melodien, die über allem schweben. So entsteht ein Spannungsfeld aus Dunkelheit und Licht, in dessen Grenzbereich das Neue entsteht.
Man mag nicht gleich von Dante sprechen oder vom Acheron, aber das Album gerät in einen Fluss, in dem jeder Track den nächsten vorbereitet und auf dem man sehenden Auges und hörenden Ohres in den Mahlstrom gesogen wird. Die Musik greift also das Prozessartige dieses alchimistischen Vorgangs auf und generiert einen Spannungsbogen; man muss gezwungenermaßen das Wort Konzeptalbum fallen lassen. Und es ist wunderschön, im Dunkeln liegt das Schillern, das Rauhe birgt Wärme, aus der Zerstörung erwächst Schönheit. Ist das nicht gruftig? Ja, das ist nicht gruftig.
„Quod est inferius“ gibt es auf der Bandcamp-Seite als Gratis-Download, auf CD sowie auf Kassette. Weitere Tracks verstreuen Mazza und Valenti übrigens auf diversen Samplern, darunter „Forest Of Thorns“.