Von Guido Dörheide (27.10.2022)
Der mittlerweile bereits 86jährige Buddy Guy behauptet, der Blues würde nicht lügen. Bzw. lügte nicht. Konjunktiv oder so, würdelose Sprache. Lügt er oder sagt er die Wahrheit? Nun denn, wir werden es herausfinden.
Gleich im ersten Stück geht Guy kein Risiko ein und überlässt seiner Gitarre, einer wahlweise weißen Stratocaster oder einer schwarzen mit weißen Polka Dots, das Reden („Let My Guitar Do The Talking“). Und fängt doch schon gleich ein ganz klein wenig an, zu lügen. Der Gitarre fällt nämlich in einer Tour die grandiose Bläsersektion ins Wort, und auch der größte noch lebende Held des Chicago Blues höchstselbst ist mächtig in Sabbelstimmung und spielt nicht nur wunderbar auf der Gitarre, sondern singt ebenso. Und weder beim Spielen noch beim Singen ist ihm sein Alter irgendwie anzumerken. Buddy Guy verfügt neben seiner herausragenden Stratocasterkompetenz, die ihm neben vielem anderen schon ein Engagement als Rolling-Stones-live-Gast („Champagne And A Reefer“ in Martin Scorceses 2008er Konzertfilm „Shine A Light“, dadurch wurde ich einst auf Buddy Guy aufmerksam) eingebracht hat, über eine ebenso herausragende Soulstimme, die er auf „The Blues Don‘t Lie“ neben anderen großartigen Sänger:innen wie Mavis Staples, Wendy Moten, James Taylor, Bobby Rush, Jason Isbell und (für mich als Die-hard-Fan quasi sowas wie ein innerer Weltspartag) Elvis Costello ausgiebig und umwerfend einsetzt.
Die meisten Stücke auf dem Album hat Guys Schlagzeuger und Produzent Tom Hambridge geschrieben, an einigen Stücken hat Guy selbst mitgewirkt und ansonsten gibt es noch Coverversionen von B.B. King und den Beatles. Also unterm Strich keine „Ein alter verdienter Würdenträger des Chicago Blues spielt die Songs alter verdienter Würdenträger des Chicago Blues nach und verausgabt sich dabei an der Gitarre“-Angelegenheit, sondern eine frische, neue, eigens für diese Schallplattenveröffentlichung in Angriff genommene Großtat des kontemporären Chicago Blues.
Ich tue mich sichtlich schwer, in Worte zu fassen, wie sehr dieses knapp über eine Stunde dauernde Album beim Hören Laune macht. Versuche es trotzdem. Guys Gitarre dominiert die Szenerie, ohne sich allzu penetrant in den Vordergrund zu spielen, es ist haufenweise Platz für Klavier, Bläser und die oben erwähnten Gastsingenden. Von rockig über bluesig, melancholisch-bluesig bis hin zu melancholisch-countrymäßig (auf „Gunsmoke Blues“ zusammen mit Jason Isbell) beherrscht Guy mit seiner wahrhaft bis ins Mark überzeugenden Stimme eine opulente Bandbreite verschiedenster Stile, und immer, wenn man denkt, besser geht‘s nicht mehr, kommt Buddy Guy mit einem den Rezipierenden die Tränen in die Augen treibenden Gitarrensolo daher.
Als überzeugter Anhänger des Chicago Blues und dessen großer verstorbener Protagonisten wie Ellas McDaniel und McKinley Morganfield freue ich mich wie ein Schlosshund, dieses Genre in meiner inneren IKEA-Kommode nicht in die Schublade „Oldies“ stecken zu müssen, sondern es als immer noch aktuelle Musikrichtung einfach obendrauf liegen lassen zu können.