Von Matthias Bosenick (05.05.2023)
Diesen Buchwald bekümmert mehr als lediglich eine Oberschenkelzerrung im linken Fuß, was ihn dazu verleitet, dunkle Musik zu machen: Andreas, nicht Guido, ist Ex-Mitglied der Hannoveraner Wave-Band Remain In Silence und setzt seine musikalischen Ausdruckformen nun erstmals solo fort. „Escape From What Life Is“ lautet der programmatische Titel eines dunklen, synthiebasierten, trippigen, atmosphärischen, percussiven, vielseitigen Albums, das man in den Achtzigern bestimmt ganz regulär unter Pop wegsortiert hätte, da waren solche Sachen ganz normal, heute ist dies komplett Nische. Da kann man beim Hören wirklich dem entfliehen, was das Leben so allgemeingültig sein soll, und das auf eine wundervolle Weise.
Das hier ist nicht einfach Gruftmucke, jedenfalls nicht nach heutigen Maßstäben, dafür ist es viel zu gereift und greift höchstens Elemente der Gruft-Anfänge auf, als die Szene noch nicht geschlossen, aber dafür sehr experimentierfreudig war, und doch ist es dunkler als das meiste, das heute auf den populären Kanälen als Gothic feilgeboten wird. Für solche Fisimatenten ist der Mann einfach selbst schon zu viel rumgekommen und hat einiges an Leben intus, um auf seine alten Tage noch auf Klischees und Plattitüden zu verfallen. Immerhin liegt der Start seiner früheren Band Remain In Silence exakt 40 Jahre zurück, der Musiker hat also einiges in den Knochen. Melancholie, Dunkelheit, Innerlichkeit, Reflexion, Eskapismus, das kann man alles auch anders kleiden als mit griffigen Allgemeinplätzen, von denen Buchwald hier keinen einzigen zum Einsatz bringt.
„What Colour Has Your Pain?“, fragt Buchwald zum Geleit, und natürlich muss die Antwort „schwarz“ lauten, klar. Mit seiner dunklen Stimme und den an- und abschwellenden Midtempo-Synthies mit dezidierten Background-Melodien erinnert das Stück etwas an Depeche Mode, als sie noch gut waren, so Ende der Achtziger, ohne das Harsche, aber mit dem Ausdrucksstarken, Atmosphärischen. Ja, damals wäre das ein normaler Popsong gewesen, heute fasst kein Radiosender mehr solche Lieder mit der Kneifzange an. Das dezidiert Dramatische des folgenden „Rituals“ hätte sich gut bei James Bond gemacht, verweist aber auch auf Einflüsse aus dem Trip Hop. Soundtrackartig sind auch die „Dark Clouds“, die nach halber Spielzeit im Eiltempo von Percussions getrieben den Blick auf den Himmel dramatisch versperren.
Ein Pfund, mit dem Buchwald zusätzlich zu seinen musikalischen und kompositorischen Finessen wuchern kann, ist seine Stimme. Sie ist dunkel, klar, unaufgeregt und einnehmend, man hört ihm gern beim Singen zu, wenn er zurückhaltend haucht oder kraftvoll intoniert. In „Nightbird“ vollführt er beides, nach einem zurückhaltenden Intro wummert die Mucke los, zuvor flüstert er, danach gibt er seiner Stimme zwischen percussiven Beats und Streichern den Raum, das Ganze ergänzend zu füllen. Im schleppenden Instrumental „Corridor“ überrascht der Einsatz eines verlangsamten Motown-Gitarrenriffs, wie man es von „You Can’t Hurry Love“ kennt; so etwas war nun wirklich nicht zu erwarten. Und hält auch nicht lang vor, in „Artifacts“ zieht Buchwald das Tempo an, lässt die Synthies pluckern und darüber eine ungefähre Melodie erklingen und singt einnehmend unterschwellig.
Für „Slow Poison“ packt Buchwald die Percussions wieder aus und unterfüttert dieses dunkel-dramatische Midtempo-Stück mit Wumms, tieftönendem Glockenspiel und einer Art Oboe. Sobald er in „Neverland“ balladesk wird, erinnert sein Gesang etwas an den von Steen Jørgensen von Sort Sol. Ein Luxus übrigens, in dem Stück für nur drei, vier Sekunden ein Banjo auszupacken, geil. Das finale Titelstück erfüllt dann wieder alle Ansprüche an gute Popmusik, dicht, unaufgeregt, melodisch, mit einer atmosphärisch eingesetzten E-Gitarre zu den Synthies, die in Musik umgesetzte Einladung, dem Leben zu entfliehen.
Dieses Buchwald-Debüt hebt sich sehr vom letzten Studioalbum „… And The Soul Goes On“ von Remain In Silence ab, das 2016 erschien, da war der Gesang noch höher, intensiver, fordernder und die Musik noch mehr in der Szene verankert, wenn auch nicht mehr ganz so wie auf dem 1985er Gothic-Rock-Debüt „Monument“, natürlich. „Escape From What Life Is“ ist ein gelungener und überzeugender Einstand als Solist. Das er nicht allein bestritt: Schlagzeuger Albrecht „Albi“ Husen war schon mal bei Remain In Silence im Einsatz und sonst bei Bands wie Schneewittchen, Coustics, Larissa Λapucca, also zwischen Gruftpop, Electro und Jazz. Und ein prominenter Gast ist dabei, der „Artifacts“ seine Erzählstimme leiht: Gregory „Greg“ Perrineau – von der Disco-Combo Eruption, jener mit „I Can’t Stand The Rain“ mit Precious Wilson, genau. Hat ja auch was Gruftiges, wenn man so will! Noch ein Hinweis: Das Projekt Buchwald sei nicht zu verwechseln mit dem von Daniel Buchwald aus Kopenhagen.