Von Matthias Bosenick (14.12.2021)
Wer in den Achtzigern mit „Werner“ aufwuchs, wandte sich ab den Neunzigern von dieser Comicreihe ab, als der Erfolg einzog und sich die Witze und die Zeichnungen veränderten. Solche Altfans spricht Brösel nun mit der zweiten Ausgabe seiner Reihe „Extrawurst“ an, in der der Kieler Zeichner alte Strips aus der Zeit vor und kurz nach der Erfindung von Werner sammelt. „Haater Stoff!“ bietet einen aufschlussreichen Einblick in Brösels Frühwerk, als er noch zwischen Anti-Establishment, Anti-Nazis und Anti-Berufstätigkeit gespickt mit Selbstironie agierte. In dieser Zeit verbesserte der als Rötger Feldmann geborene Autor seine Zeichenfertigkeiten und verfeinerte seinen Humor. Manko: Quellenangaben fehlen, die Überarbeitungen sind nicht gekennzeichnet. Ansonsten ein zum Teil erschreckend aktuelles Zeitdokument.
Werner ist 40, Brösel 30 Jahre älter – der Zeichner war also schon was länger dabei, als er aus seiner selbstgewählten Arbeitslosigkeit in den Stand des Comiczeichners wechselte. Weitere zehn Jahre später konnte er davon so gut leben, dass sich das auch auf seine Comics niederschlug, die nicht mehr wie in der Kneipe, mit dem Motorrad auf Reisen oder sonstwie selbsterlebt wirkten, sondern wie im Ennui am Zeichentisch erdacht, womöglich nicht einmal von ihm, sondern von angestellten Zeichnerteams. Fortan war der Zugang zu den Werner-Comics reichlich erschwert, wenn man seine Erwartungen aus der anarchischen Frühphase mitbrachte.
Und wie anarchisch die war, unterstreicht dieses Buch. An vielen Stellen fühlt man sich an die etwa zeitgleich erschienenen Strips von Gerhard Seyfried erinnert, nur dass jener noch radikaler als Brösel war und eher kiffte als soff. Dabei legt das Pseudonym Brösel das Kiffen beinahe nahe, jedoch bezieht Feldmann es wahlweise auf seine zerbröselnden Motorräder oder die freie Übersetzung des Namens seines Idols Robert Crumb. Jedenfalls spricht sich Brösel deutlich gegen Nazis aus und gegen einen Staat, der auf dem rechten Auge blind ist; überraschend, wenn man sich vor Augen hält, dass er auf der 2019er-Auflage seines Rennens ausgerechnet die Böhsen Onkelz auftreten ließ.
Anarchisch waren zuvorderst die assoziative Erzählweise und die fragmentarischen Zeichnungen, Anarchie hingegen war für Brösel eher der Widerstand gegen die von wem auch immer ausgehende Pflicht, arbeiten zu müssen; der Staat als Kritikbild schlägt sich bei ihm anders nieder, etwa in verstörenden Argumenten für eine bewaffnete Armee. Kritisch bildet Brösel zudem den zunehmenden TV-Konsum als Alternative zum Selbsterleben, Immobilienhaie, Umweltzerstörung, Atomkraft und die Macht der Mediziner ab; „Bullen“ kriegen bei ihm ohnehin stets ihr Fett weg. Gleichzeitig lacht er über seine eigene Szene, nicht zuletzt in der Anarcho-Reihe „Die Bakuninis“, die Brösel für das Satiremagazin „Pardon“ anfertigte.
All diese Fetzen, teilweise unveröffentlicht, teilweise überarbeitet und nachkoloriert, zeichnen den Fortschritt des Zeichners nach, der sein Handwerk wie nebenbei verfeinerte und seine Zeichnungen von sympathisch-dilettantischen Trägern des Spotts zu akribisch ausgearbeiteten Panels entwickelte. Und da steckt das Manko dieses Sammelsuriums: Brösel vorwortet zwar davon, dass es sich hier um Archivmaterial handelt, lässt aber Jahreszahlen, Erstveröffentlichungen und Remasteranteile offen. Man muss wahlweise viel im Internet nachlesen, es bereits wissen (zum Beispiel „Neue Pullover Comics“) oder einfach ignorieren, dass das Buch diese Lücken lässt.
Ein Fest für die Alten ist es dennoch, auch wenn „Haater Stoff!“ natürlich nicht so geschlossen ist wie der erste Werner-Band aus dem Jahr 1981, „Oder was?“: Sujets und Zeichenstile wechseln, aber das macht ja gerade den Reiz dieses Blicks hinter die Kulissen aus. Insbesondere, da man ungefähr ab dem von der Flensburger-Brauerei zensierten „Besser is das“ 1989 und dem ersten Film 1990 – trotz erfreulicher Reunion von Trofrock – den Anschluss verlor. Die Comics wirkten wie vom Reißbrett, sowohl, was die Geschichten betrifft, als auch die fein ziselierten Zeichnungen, die zwar optisch ansprechend waren, aber die flachen Gags und Geschichten nur kaschierten. Brösel war etabliert und schöpfte den Rahm seines Anarchohelden ab, indem er ihn massentauglich machte. Er bediente Klischees, über die er vorher lächelte, und ließ seine alten Fans mit Schulterzucken zurück. „Volle Latte!“, „Wer bremst hat Angst!“, das war zum Fremdschämen und dichter am breiten Proll als etwa der sympathische Cartoon „Dilettanten olê“, wie immer bei Brösel von einem Lektorat unbeleckt.
Und so fiel es dem Altfan in all seiner Distanziertheit zu seinem Jugendhelden Werner gar nicht auf, dass dessen Hauptreihe ab 2004 brachlag und Brösel sie erst 2018 mit „Wat nu?!“ reaktivierte, also mit fast 70 Jahren. Müsste man sich wohl mal angucken, ob sich die Zeit da in der Qualität niederschlug. Falls nicht, reicht auch „Haater Stoff!“, um seine private Nostalgie etwas aufzufrischen.