Von Guido Dörheide (05.03.2023)
Eine Lesung von Hardy Crueger und Till Burgwächter ist ein schönes Erlebnis, das man sich öfter gönnen kann und auch sollte, selbst wenn sich das Programm zwischendurch noch nicht geändert hat. „Braunschweig‘sche Verbrechen“ habe ich mir im vergangenen November in Begleitung der Liebsten und des Herausgebers dieser Seiten schon einmal angehört und -gesehen – damals in der Buchhandlung Benno Goeritz zu Braunschweig. Am 2. März haben die beiden Autoren dieses Programm in der bekannten braunschweigischen Metal-Kaschemme „KLAUE“ – Heimat des gediegenen Ambientes (samt Modern-Talking-Foto an der Wand), der in urst grandioser Weise mehr als hörbaren Musikbeschallung, des charmanten und freundlichen Personals und zuletzt aber nicht geleast der konsumentenfreundlichen Getränkepreise (jeder, der einmal in der KLAUE ein Bier bestellt hat, dachte hinterher, er wäre in eine minnichtsens 20 Jahre zurückreichende Zeitanomalie hineingeraten) – erneut zum Besten gegeben. Einige der vorgetragenen Geschichten wurden ausgetauscht, andere blieben gleich – Wurscht, Crueger & Burgwächter könnten auch die Halbzeitergebnisse der Rasen-Halma-Regionalliga verlesen, es würde sich nicht nur lohnen, dort hinzugehen, sondern Spaß hätte man noch obendrein.
Crueger und Burgwächter haben das Buch „Braunschweig‘sche Verbrechen“ gemeinsam veröffentlicht, aber im Gegensatz zu anderen Autoren-Duos nicht gemeinsam geschrieben, sondern immer im Wechsel erst der eine eine Geschichte und dann der andere eine andere. Sie haben regionale wahre Kriminalfälle sorgsam recherchiert und gehen dabei unterschiedlich an das Thema heran: Crueger nimmt beispielsweise die beinahe allen Geschichten zugrunde liegenden Zeitungsartikel oder Polizeiberichte zum Anlass, sich in die Perspektive der Handelnden – das können sowohl die Opfer als auch die Täter sein – hineinzudenken und daraus teils erheiternde, teils aber auch erschütternde und gelegentlich auch verstörende Kurzgeschichten zu machen, während Burgwächter aus ähnlichem Material brüllend komische Glossen, Anekdoten, Schwänke, was auch immer formt.
Um kurz nach 19 Uhr öffnet sich die Tür der KLAUE, und schnell füllt sie sich bis auf den letzten Platz. Crueger und Burgwächter bestücken den von den Organisatoren bereitgestellten Merchandising-Tisch mit selbstgeschriebenen Büchern, nehmen am vor dem Terrarium aufgebauten Lesetisch Platz und starten um 19:45 Uhr mit ihrem Programm: Immer abwechselnd lesen sie insgesamt 6 Geschichten aus dem 20 Geschichten umfassenden Band „Braunschweig‘sche Verbrechen“ vor, wobei jeder der beiden Literaten immer jeweils das vorliest, was er selber geschrieben hat, nie anders herum.
Crueger liest als erstes „Die Brücke des Zorns“, die Schilderung eines Eifersuchtsverbrechens innerhalb einer Gruppe von drei Betrunkenen, zwei Männern und einer Frau. Einer der Männer wird dabei aufgrund von Beweggründen, die mehr als fadenscheinig sind, von Crueger aber überzeugend nachgezeichnet werden, vom anderen Mann von einer Brücke geworfen, während die Frau zuschaut, was Erstgenannter sogar überlebt. Weniger Glück hat eine Frau in der Wallstraße, also in unmittelbarer Nachbarschaft der KLAUE, die von ihrem Lebensgefährten (nicht umsonst leitet sich dieser Begriff von „Lebensgefahr“ ab) umgebracht wird. Anschließend nimmt Crueger die Lesenden mit auf die Flucht nach Brandenburg und eine Reise in die Psyche des Täters („Wie die Dinge sind“). Seine dritte Geschichte, „Niedere Instinkte“, erzählt Crueger aus der Sicht des Jödebrunnens, in dessen Fluten das Opfer einer rivalisierenden Jugendgruppe von ebendieser geworfen wird, was es nicht überlebt.
Wer Cruegers großartige Thriller oder seine ebenso tollen Okergeschichten kennt, weiß, dass es bei ihm nicht gerade zimperlich zugeht, was aber angesichts seines anschaulichen, alle Charaktere bis ins Detail ausarbeitenden Schreibstils und seiner Fähigkeit, 700 Seiten Handlung auch mal eben auf deren 45 stattfinden zu lassen, nie belastet, sondern stets fesselt.
Wenn nun Till Burgwächter schon rein optisch ganz anders daherkommt als Hardy Crueger: Seine Geschichten tun es ebenfalls.
Während Cruegers Vortrag den Mehrwert gegenüber dem Druckerzeugnis aus dem Schlüpfen in die verschiedenen Rollen samt Stimme, Tonfall und bisweilen sogar Dialekt generiert, sind es bei Burgwächter die Betonung, die Pausen mitsamt des durchs Publikum schweifen lassen gewordenen Blicks mitsamt des anschließenden Auf-den-Tisch-Donnerns der nächsten Pointe, die den Reiz des Vorgelesenkriegens ausmachen.
Burgwächter berichtet von der Einzigartigkeit der Panzerfaust als Argumentationshilfe bei Raubüberfällen („Lethal Weapon – Braunschweiger Parkplatz-Panzerfäuste“), peinlichen und teuren Missgeschicken beim Besuch des Braunschweigischen Rotlichtviertels nebst einem Abriss über dessen Geschichte („Sex and the City – Die legendäre Bruchstraße“) sowie von teils empörenden und teils lustigen Verkehrsdelikten („The Road to Hell – unterwegs auf Braunschweigs Straßen“). In der letztgenannten Geschichte tritt Burgwächter den Beweis an, dass auch Schreibende von Polizeiberichten bisweilen literarische Begabungen in sich tragen. In der Passage über zwei Jugendliche, die im Jahr 2022 mit einer widerrechtlich in ihre Gewalt gebrachten Straßenbahn durch Braunschweig fuhren, heißt es als Begründung dafür, dass die beiden nicht wegen Diebstahls angeklagt wurden: „Die Täter hätten zu keinem Zeitpunkt die Absicht gehabt, die Bahn zu behalten.“ Großartig.
Und getreu dem Motto „Jeder Literat kriegt das Publikum, das er verdient (ob er will oder nicht)“ wurden Crueger und Burgwächter vom Publikum begeistert gefeiert; es war zu spüren, dass nach einem ersten Vertrautmachen mit dem Gebotenen von Geschichte zu Geschichte immer und immer mehr und mehr Wogen der Begeisterung durch die KLAUE zogen. Ziehen Wogen eigentlich, oder was tun die? Egal, es war toll, enttäuschte Gesichter habe ich keine gesehen, danke an Hardy, an Till und an das superliebenswürdige Personal der KLAUE für einen wunderschönen Abend!
P.S: Die KLAUE hat nicht nur lesende Literaten, gute Musik mit Stromgitarren und preisgünstige Getränke im Repertoire, nein – sie ist auch Heimat der einzig und alleinichen Metal-Quiznight mit Till Burgwächter. Diese findet zum nächsten Mal am Freitag, den 24. März 2023, ab 19 Uhr statt. Es gibt hochkarätige Preise zu gewinnen und Spaß macht es obendrein!
P.P.S: Das Buch „Braunschweig‘sche Verbrechen“ ist 2022 im Verlag Andreas Reiffer erschienen, hat einen bunten (Gestaltung desselben und Cartoons im Innenbereich des Buches von Karsten Weyershausen), festen Einband mit hochwertiger Haptik und kostet 16 EUR. Erhältlich überall, wo es Bücher gibt, und ganz besonders in der Buchhandlung Benno Goeritz.