Von Matthias Bosenick (15.04.2025)
Der „Kitsch!“-Ausruf liegt einem beim Hören von „Fimbulvinter“, dem sechsten Album des norwegischen Airbag-Musikers Bjørn Riis, ständig auf den Lippen, schließlich bekommt man hier warmweichen Radio-Retro-Artrock vorgesetzt, aber verdammt – der Mann macht etwas richtig, vermutlich ist es die Herangehensweise kombiniert mit dem Ausdruck, denn hier schwingen Melancholie und Schwermut mit, aufgebrochen von Bestärkung und Selbstermächtigung. Riis hat etwas zu teilen, gar mitzuteilen, und deshalb nimmt man ihm diesen Griff in die musikalische Mottenkiste nicht nur nicht krumm, sondern dankbar ab.
Dieses Album kombiniert Marillion und Opeth, Pink Floyd und Chris Rea. Unter anderem. Und eigentlich ist es natürlich einfach nur Musik von Bjørn Riis. Er befasst sich mit psychischen Problemen und verarbeitet sie musikalisch so vielseitig, die damit verbundene Stimmungsschwankungen bisweilen auch sind, und gleichzeitig mit einer Art Umsorgung, die den Hörenden, die womöglich ihrerseits mit Dunkelheiten zu kämpfen haben, ein akustisches Zuhause vermittelt. Und zwar beides nebeneinander.
„Gone“ etwa achtelt den Bass im Uptempo und lässt die Gitarre lässig bluesen, wie man es etwa von „Auberge“ von Chris Rea kennt. Das Stück surft auf der Ermutigung, bevor Riis ernst wird. In der Folge nehmen reduzierte, minimale Passagen weite Räume ein, zu Beginn etwa das exemplarisch betitelte „Panic Attack“, das sich aus einem stillen Stück mit Kontrabass kraftvoll erhebt und wieder dahin zurücksinken lässt, nur um dann mit Orgel und Pink-Floyd-Gniedelgitarre in Richtung Riffs abzudriften. In „She“ überwiegt die Schwermut, in dem Stück wirkt Riis unmittelbar, als befände er sich neben den Hörenden, und die Musik dazu ist so warm und weich, wie man sich in schweren Zeiten eine Zuwendung wünscht. Ganz zuletzt lässt der Wechsel aus Riffs und Synthie-Gitarren-Ambient in „Fear Of Abandoned“ den Eindruck entstehen, man schalte zwischen alten Alben von Opeth (mit Growls) und Marillion (mit Fish) hin und her.
Das ist alles sehr retro, sehr Siebziger-Achtziger, mit lauter Einwürfen, die man damals nicht gemacht hätte, also wieder sehr heute. Wenn sich Riis schon von bestehenden Sounds inspirieren lässt, dann kopiert er eben nicht einfach, sondern baut ein, denkt weiter, verwendet zu seinen Zwecken. Als Kitsch empfindet man „Fimbulvinter“, benannt nach einem Begriff aus der nordischen Mythologie, der die erste von vier Katastrophen bezeichnet, die Ragnarök einleiten, den Untergang der Götter, vermutlich lediglich dann, wenn man psychisch stabil ist und eine mentale Unterstützung wie diese nicht nötig hat. Aber auch dann darf man Freude an solcher Musik aufbringen.