Von Guido Dörheide (09.04.2022)
So einfach haben mir Bilderbuch den Einsteig in ein neues Album noch nie gemacht: „Bergauf“ ist unterlegt mit einer angenehmen Akustikgitarre und beginnt direkt mit einem Solo, das sich von zunächst clean mit schön Hall dann, nachdem das verhalten galoppierende Schlagzeug eingesetzt hat, in leicht angezerrt indierockig steigert. Dazu spielt der Bass wirklich schöne Läufe, sehr songdienlich, aber immer gut identifizierbar. Mit derartiger Wärme empfangen, kann Maurice Ernst mit seiner bekloppten Art zu singen auch nichts mehr kaputtmachen. Hätte ich jetzt fast geschrieben. Statt dessen schreibe ich: Sobald der charismatische Frontmann der einstmals innovativsten Rock-Formation der Welt, wenn nicht gar Europas, sein wie ehedem oberlässig vorgetragenes Signature-Crooning ins – diesmal in gelber Farbe erstrahlende – Feld führt, weiß „der Kenner“ (bei so einem Geschwurbel verzichte ich gerne mal aufs Gendern, nicht dass ich damit weiblichen und diversen Butterbrot-Fans auf die Füße trete) – hier hat er es mit dem neuen Album von Blumenbeet zu tun.
Bis dahin ist die anfängliche Akustikgitarre dann auch einem amtlichen Schrammeln der gehobenen Klasse gewichen. Jetzt könnte die Band beigehen und meinetwegen Brunchgeräusche in oktophonem Klang aufnehmen oder sich mit dem Aufnahmegerät am Häusl hocken, nach „Bergauf“ ist „Gelb ist das Feld“ quasi unkaputtmachbar. Der erste Leserkommentar auf www.laut.de nach Erscheinen des Albums lautete „Prinzipiell unfickbare Band“. Das trifft es, irgendwie. Nobody fucks with a Bilderbuch – John Turturro wäre auch dieser Meinung.
Für Bilderbuch klingt das Album – abgesehen vom glücklicherweise immer noch unvergleichlich-skurrilen Gesangsstil Maurice Ernsts – beinahe normal, nach Indie-Pop, wunderschönem Indiepop sogar. Peter Horazdovsky am Bass und Philipp Scheibl am Schlagzeug tun mir jetzt schon Leid, denn sie machen einen tollen Job und ohne sie würde sich das Album auch bloß anhören wie Maurice Ernst mit Gitarrenbegleitung – aber was Michael Krammer da an der Gitarre veranstaltet, ist ganz große Klasse – er beherrscht beide Arten von Musik – Country und Western, Americana, Jangle Pop, schöden Indierock und vieles mehr und sorgt auf jedem Stück dafür, dass man sich Ernsts merkwürdige Mischung aus Deutsch und Englisch gar nicht erst nicht anhören muss und mit „Gelb ist das Feld“ dennoch viel Spaß haben kann.
Bereits die letztjährige Vorab-Single „Nahuel Huapi“, die ich zu meiner Begeisterung auf einem eigens für die Kinder beschafften Austrian-Top-100-Sampler entdeckt hatte, sorgte bei mir ob seiner ins Hypnotische reichenden Lässigkeit für große Begeisterung (und die Kinder so: „Papa, mach mal das nächste Lied“!).Hält man dennoch sein Ohr dicht an den Bluetooth-Brüllwürfel, um mitzukriegen, was Maurice Ernst da singt, lohnt sich das wieder einmal mehr total: Ernst singt wie oben beiläufig erwähnt immer noch halb deutsch, halb englisch, manchmal denglisch, aber Zeilen wie „Ihr Körper keeps me spinning – ich bin ein nasty boy“ im Stück „Dates“ stimmen schon mal erwartungsfroh auf mehr in dieser Richtung ein – auch bei Songs über Liebe soll man ruhig mal leicht fremdschämend schmunzeln können. Von Song zu Song wächst einem aber dieses merkwürdige Sprachenwirrwarr immer mehr ans Herz – auf „Daydrinking“ heißt es: „Kein rush, keine hurry, nur intimacy“ – hopefully, denke ich bei mir. Auch die Themenauswahl ist zutiefst von Relevanz und Wichtigkeit durchzogen, und das wie immer unaufgeregt formuliert – Zeilen wie „offene Wunden von toxic relationships“, „war es Liebe oder sweet co-dependency“ regen zum Nachdenken an und Bilderbuch schaffen es, selbst in diese schmerzenden Themen eine gewisse Lässigkeit reinzubringen.
Keins der letzten Bilderbuch-Alben hat mich auf Anhieb so glücklich gemacht. Ach ja – das Albumcover sieht aus wie diese Platzhalter, die in Möbelhäusern immer statt Fotos in den Bilderrahmen in der Schreibtisch-Abteilung stecken. Macht aber nichts.