Von Guido Dörheide (05.09.2025)
Ja ja meine Mudda – wie die alte Dame immer sagt: „Das Buch XY vom Autor Z ist bei dem und dem Verlag erschienen und deshalb ist es gut.“ Manche gute Bücher erscheinen aber auch bei Bastei-Lübbe, da beißt die Maus keinen Faden ab. „Double Infinity“ von Big Thief hingegen ist bei 4AD erschienen, und wir Pixies-Afficionados wissen: Das ist ein Label, auf das man vertrauen kann, die veröffentlichen nicht einfach mal so irgendeinen Scheiß.
Und Big Thief ist eine Band, die niemals irgendeinen Scheiß veröffentlichen würde. Und dieses Mal mache ich es nicht so wie weiland 2022, wo ich das damals aktuelle und immer noch großartige Album „Dragon New Warm Mountain I Believe In You“ erst Monate nach dessen Erscheinen abkündigte.
Also wieder mal Futter bei die Fische (danke, Kollege M., das wird mir wohl ewig nachhängen) – „Dragon“ undsoweiter war für mich DAS ALBUM des Jahres 2022, kann „Double Infinity“ das auch? Zuallererst: Doppelte Unendlichkeit, zweimal bis unendlich zählen, Drehtüren zuknallen, das alles kann natürlich nur eine Person. An wen denken Sie, liebe KrautNick-Lesende? Richtig: Adrianne Elizabeth Lenker aus Indianapolis, Indiana, sie kann das alles, und nebenbei schreibt sie noch einige der tollsten Songs der kontemporären Zeit. Und singt alles an die Wand. Das aktuelle Big-Thief-Album braucht sich also, obwohl es weniger umfangreich ist (80 Minuten sind auch geradezu obszön lang, wobei, auf seinem sechsten Album kann man sich sowas durchaus mal rausnehmen, wobei beispielsweise The Cure schon zuvor SECHS Alben herausbringen mussten, bevor sie sich so eine Extravaganz erlauben durften), nicht vor dem letzten zu verstecken. Gleich mit „Incomprehensible“ legt Ms Lenker unvergleichbar los: Die Musik ist am Anfang irgendwie so verschlurfter und elektrisch vermackelter Indie-Folk, Adrianne Lenker singt, als hätte sie noch nicht mitbekommen, dass das Aufnahmegerät schon läuft, und auf einmal – läuft es: Die Musik klingt weniger verwaschen, Lenkers Stimme nimmt die Hörenden gefangen – hell, zerbrechlich, aber doch irgendwie stark und selbstbewusst – die Melodie ist wunderbar und der Text mäandert zwischen Road Movie und einer sentimentalen Betrachtung des eigenen Älterwerdens hin und her.
„Words“ beginnt gleich mehr folkig – hier bekommen wir es mit einer selbstzweifelnden Betrachtung des zeitgenössischen Beziehungslebens zu tun, die keine Stimme außer der Adrianne Lenkers besser auf einen Tonträger bannen könnte. Und dann:
„Los Angeles“ – Lenkers Stimme nochmal besser, die Melodie nochmal hypnotischer, und der Refrain „You sang for me, you sang for me“. It was your lover, it was your mother. Oder jemand anderes, auf jeden Fall kann man sich diesen Songs kaum entziehen.
Neben Adrianne Lenker am Gesang und an der Gitarre wurde auch „Double Infinity“ wieder von Buck Meek (Gitarre) und James Krivchenia (Drums/Percussion) eingespielt, Bassist Max Oleartchik ist nicht mehr mit von der Partie. Seinen Job macht „Additional Musician“ Joshua Crumbly, und solcher sind hier viele mit am Werk, und sie alle machen „Double Infinity“ zu einer wirklich runden Sache.
„All Night All Day“ (Auch hier lohnt es sich, mal in den Text hineinzuhören, wahre Abgründe tun sich hier auf. Ich sage nur „Swallow poison, swallow sugar – Sometimes they taste the same. But I know your love is neither And love is just a name“) beginnt beispielsweise mit einer schönen Percussion, untermalt von Synthesizern, dann setzen Gitarre und Bass ein und dann – singt Adrianne Lenker wieder alles an die Wand. Wie man gleichzeitig so kraftvoll und dennoch zerbrechlich singen kann, weiß ich nicht, Lenker kriegt es auf jeden Fall hin. Und so geht es immer weiter: Das sich anschließende Titelstück „Double Infinity“ wird von Lenkers Gesang extrem dominiert, was aber nicht schlecht ist; die Musik ist repetitiv und minimiert, und der Text handelt von den Gefühlen gegenüber dem derzeitigen Liebhaber der Ich-Erzählerin und denen gegenüber anderen Partnern aus der Vergangenheit und der Zukunft – nichts, was sich irgendwie glücklich ausgehen könnte.
Lenkers Texte geben auf jeden Fall viel her, viel Gefühl, viele Stimmungen und vieles zum Herauslesen und Hineininterpretieren, darum lasse ich das jetzt mal und stattdessen lasse ich die Musik auf mich wirken:
In der zweiten Hälfte des Albums gibt es erstmal zwei lange Stücke zu hören: Den Anfang macht „No Fear“, knapp sieben Minuten lang, ruhig, psychedelisch, mit einem Schlagzeug zum Verlieben und wieder einmal mehr einer tollen Melodie und natürlich wunderschönem Gesang. Es folgt „Grandmother“ mit sechs Minuten Spielzeit, eine textlich sehr schön und eindrücklich reduzierte Beschäftigung mit der Vergangenheit, melancholisch und wieder einmal mehr repetitiv und irgendwie – ja, hypnotisch.
Beim vorletzten Song tobt Lenker sich textlich mal richtig aus, er besteht fast nur aus „Happy with you“ und „Poison shame“, immer wieder wiederholt, so dass die Liebste schon fragte, ob die mp3 einen Sprung hätte. Aber das hat sie nicht, es gehört alles so und das Lied bringt Fröhlichkeit nach langen Minuten wunderschönen Trübsinns, die das Album bislang ausmachten.
„How Could I Have Known“ beschließt das Album dann so, als würden die Traveling Wilburys die Musik machen und Adrianne Lenker würde dazu singen. Das ist Folk, das ist Country, das ist Big Thief, das ist großartig!