Von Guido Dörheide (14.09.2025)
Dass die progressiven Metallurgen und mathematischen Metallkernmusikanten von BTBAM aus North Carolina ihre Alben gerne mal ruhig und Mathcore-/Metalcore-untypisch (dafür umso mehr progmetallisch) ruhig einleiten – siehe „Colors II“, „Coma Ecliptic“ oder „Automata I“ – und dass Tieftönerbediener Dan Briggs in der Lage ist, funkige Basslinien zu erzeugen, ist ja nichts Neues, aber sowas wie den ersten Song („Things We Tell Ourselves In The Dark“) des neuen Albums („The Blue Nowhere“) hätte ich niemals erwartet, zumindest nicht gleich am Anfang eines Albums (wir erinnern uns an „Revolution In Limbo“ von „Colors II“, das ja auch nicht gerade Extreme Metal war): „Things We Tell Ourselves In The Dark“ beginnt dermaßen funky, dass uns die Riesenkrägen und beeindruckenden Backenbärte der Protagonisten des 70er-Jahre-Disco geradezu anspringen.
Hier profitieren BTBAM auch wieder einmal mehr von der Stimme und den Gesangsfertigkeiten ihres Sängers Tommy Rogers, der sich beim Ausüben des Klargesangs nicht so anhört wie ein gelernter Metalcore-Sänger, der sich im Intonieren generisch anmutender Möchtegernstadionhymnen mit bemühtem Alternativrockeinschlag übt und dabei mit Schmackes auf die Fresse fällt – nein nein nein, was Rogers anpackt, das beherrscht er und das gelingt ihm. So changiert er seine Tonlage im Eröffnungsstück zwischen Crooning, Growling und einfach nur Singing hin und her, während die Band einfach discomäßig groovt, nicht nur die Bassgitarre, sondern auch die einfache Gitarre ohne Bass schollert schön vor sich hin wie weiland in den 70ern, und das gleich mal acht Minuten lang. Damit wir uns nicht falsch verstehen – zwischendurch machen BTBAM immer mal wieder deutlich, dass wir es hier mit einer progresssiven Metalband zu tun haben, aber so richtig spielen sie diese Karte erst im zweiten Stück aus: „God Terror“ ist schneller, weniger groovig und metallischer als „Things We Tell…“, und in der zweiten Stophe singt Rogers auf einmal so, als wäre er der Bruder von Dave Mustaine, nur dass die Musik abwechslungsreicher ist. Das mag ich so an BTBAM: Sie sind ordentlich hart, verzichten aber auf alles, was ich am Metalcore unschön finde (andauernde Breaks, exzessiver Einsatz von Blastbeats und diese unsäglichen mit vermeintlich schöner Stimme vorgetragenen Stadionhymneneinlagen), dafür führen sie ein wirklich tolles Keyboard ins Feld, das die übrigen Instrumente hektisch und teilweise sogar echt dominant unterstützt. Kann man dominant unterstützen? Egal – weiter: Ruhige Instrumentalzwischenspiele können BTBAM, ohne dass es nervt oder theatralisch wird, auch das zeigt „God Terror“, am Ende des Interludiums um Minute 5 herum singt sich Rogers wieder leise in den Vordergrund, um dann mit abgekacktem Growling alles in Grund und Boden zu brüllen, wobei Gitarre, Bass und Drums ihm ganz hervorragend Paroli bieten, dann klingt das Stück ruhig aus, um vom krachenden „Absent Thereafter“ mit brachialer Geschwindigkeit abgelöst zu werden. Hier spielt die Band wieder eine ihrer typischen Stärken aus: Der Gesang ist hart und laut, die Gitarren sind es auch, das Schlagzeug ohnehin, aber dennoch wohnt dem ganzen Gebolze eine Melodie inne, es groovt und zwischendurch ist immer mal wieder Platz für ein filigranes Akustik-Solo, bevor weiter auf die 12 gehauen wird. Dann hymnischer Klargesang, der aber – ich wiederhole mich – niemals nervt, nicht mal, wenn er von einem heute mal wieder besonders perlenden Klavierlauf begleitet wird, als hätte die Band den ollen Bruce Hornsby irgendwo in den Katakomben des Studios angekettet. Danach kommt ein Gitarrensolo, das an Kitschigkeit kaum zu überbieten wäre – jahaa, wäre, wäre, Fahradkette –, wenn wir es hier nicht mit BTBAM aus North Carolina zu tun hätten – Kitsch liefert diese Band einfach nicht, auch wenn sie noch so viele kitschige Elemente in ihre Musik hineinpackt. In der Mitte von „Absent Thereafter“ wird dann auf einmal jazzig und bluesig, aber dennoch progmetallisch gegroovt und die Instrumente kleben dabei so tight zusammen, dass es die wahre Freude ist. Irgendwann merkt man „ups, da läuft gerade ein großartiges Gitarrensolo“, während man noch mit blutenden Trommelfellen an den Erzeugnissen der Rhythmusfraktion klebte, und dann gröhlt Rogers enthusiastisch und kunstvoll mitten rein, nur damit danach alles wieder vom schnellen, vertrackten Schlagzeug dominiert ruhiger wird, von sanftem Gesang begleitet, und dann gröhlt Rogers schon wieder mitten rein und alles ist gewaltig. Dieser Song ist damit mein Anspieltipp – wenn Sie das, liebe Lesenden, gerne mögen, wird Ihnen das gesamte Album taugen.
Ich gebe auch gerne zu, dass ich – als ein erklärter Befürworter von Gitarre, Bass, Schlagzeug und Scream-/Growlgesang in der Musik – beim Metal gerne die Texte außen vor lasse, und davon werde ich auch hier nicht abweichen, aber, liebe Lesende, beschäftigen Sie sich bitte gerne mal mit den Texten von BTBAM – sie sind lang, sie klingen gut und haben Tiefgang. Ich bin aber der Meinung, dass ich sie hier weder zu analisüren in der Lage bin noch dass das irgendwie notwendig wäre – die Texte sind gut, aber die Musik spricht für sich selbst.
Mit „Pause“ gönnen uns BTBAM eine knapp dreiminütige – ja – Pause, die sich bis kurz vor Ende in düsteren Synthesizerklängen manifestiert, dann singt Rogers sehr aufgeräumt und schönklingend und der Song schickt sich gegen Ende an, eine Ouvertüre zum orchestral anmutenden „Door #3“ darzustellen. Es geht orchestral weiter und Rogers presst sich die Vocals geradezu heraus, singt zwischendurch immer wieder klar und wundervoll melodisch, dann grunzt er, die Musik wird abgehackt und zu gleichen Stücken von den Gitarren (wie immer hervorragend Paul Waggoner und Dustie Waring) und Briggs’ Bass getragen – Blake Richardson am Schlagzeug unterstützt dabei nicht nur, sondern macht vor, wie sich ein progressives Metallschlagzeug anzuhören hat – nämlich GENAU SO, denn so ist es GENAU RICHTIG.
„Mirador Uncoil“ ist dann ein reines Instrumentalzwischenspiel, dass mexikanisch oder „Sketches Of Spain“-mäßig anmutet, am Ende in Geknüppel und Gegrunze ausartet, um dann „Psychomanteum“ auf die Hörenden loszulassen – mit knapp über elf Minuten bisher das längste Stück auf einem an langen Stücken nicht eben armen Album – und was für 1 Fest ist das: Es knüppelt, es bratzt, Rogers growlt, was das Zeug hält, und der Bass slappt und groovt wie die sprichwörtliche Sau. Dazwischen immer wieder kammermusikartige, kurze Einlagen, aufkreischende und quietschende Gitarren – wenn progressiver Metal-/Mathcore immer so ist, dann nehme ich ihn mit auf die einsame Insel. Dieser Song ist unendlich lang und wird nie langweilig. Wird das dem folgenden Song, der noch 16 Sekunden länger ist, ebenfalls gelingen?
„Slow Paranoia“ beginnt alles andere als slow, die Gitarren und der Synth liefern sich ein memorables Intermezzo, Rogers unterzieht seine Stimmlippen einem Stresstest und Richardson liefert ein Stakkato an schnellen, harten Drums unter völliger Auslassung jeglicher Blastbeats (anscheinend sind die nicht nötig, wenn man es so drauf hat wie Between The Buried And Me). Nach gut zweieinhalb Minuten übernimmt das Klavier und Rogers unterhält mit großartigem Klargesang/Bargesang/Operettengesang/wasauchimmer – es ist großartig! Mühelos findet die Band zurück in die abgehackten, aber niemals abgeschmackten Gefilde des Metalcore, die Keyboards halten aber erstmal durch und ändern nichts – das ist das Tolle an BTBAM: Wenn sie innerhalb des Songs des Stil wechseln, denkt man niemals „Hört das mal auf? Macht doch lieber mal so weiter wie am Anfang!!!“, sondern jeder Wechsel sitzt, passt und ist nötig und songdienlich. Auch die lange Spielzeit von „Slow Paranoia“ vergeht wie im Fluge und die Hörenden fragen sich „Was kann denn nun noch kommen?“
Naja, das Titelstück zum Beispiel. Mit sechs Minuten Spielzeit auch nicht gerade das neue „We Will Rock You“. Es startet mit hoher Orchestralitätsanmutung dank einer kitschigen, aber zugegebenermaßen großartig solierenden Gitarre. Dann Klargesang – auch nicht kitschfrei, aber eine/einen ohne Zweifel in den den Bann ziehend. Wir bewegen hier uns schon fast im Bereich der Popmusik, bis kurz hinter der Dreiminutengrenze alles verstummt – und dann genauso weitermacht wie zuvor. Ja Hammer – wer gedacht hätte, dass ein Stück, das völlig auf jede Art der Überraschung und Weiterentwicklung dermaßen verzichtend so überraschen könnte, der hat die Rechnung ohne BTBAM gemacht: Sechs Minuten Repetitivität und Überraschungslosigkeit – aber soo geiel! Auf „Beautifully Human“ wird diese Strategie zunächst weiterverfolgt – auf einem Synthesizer –, aber dann setzen ab Minute 1:36 die Gitarren ein und verfolgen die seit Anfang eingesetzte Melodie kongenial weiter. Rogers’ Gesang schmeichelt den Hörenden, zieht sie in den Bann und entwickelt hypnotisierendes Potential, irgendwann wird der Gesang schneller und rhythmischer, aber nicht weniger klar. Er steigert sich allerdings in Euphorische, das Schlagzeug wird schneller und schneller, Rogers haut nochmal eine Schmalzpassage raus und dann – nein, hauen BTBAM nicht auf die Zwölf, sondern starten ein wunderbares Gitarrensolo, dass sich bis zum Ende des auch mal wieder knapp achtminütigen Songs hinzieht und den immer wieder aufkommenden Klargesang schöön ergänzt. Dann klingt der Song elektronisch aus und das Album ist vorbei. Nach über 70 Minuten – auf nur zehn Stücke verteilter – Kurzweil, Härte, Melodik, Funkyness und Maximalrelevanz für den modernen, progressiven und technisch anspruchsvollen Heavy Metal.