Von Matthias Bosenick (09.11.2020)
Hat er gut gemacht! In den vergangenen fast zehn Jahren schien es, als habe Ben Aaronovitch zuletzt das Ziel verfolgt, so viel wie möglich aus seiner zum Kult erhobenen „Die Flüsse von London“-Serie um den Zauberpolizisten Peter Grant herauszuquetschen, koste es, was es wolle, und seien es Qualität oder Verständlichkeit. Im achten Band der Reihe hat er sich offenbar wieder gefangen: Die Story ist nachvollziehbar, die Nebenhandlungen fügen sich in die Hauptgeschichte ein und lenken nicht von ihr ab, die Vorbereitung auf die Lösung schließt etwas Neues mit ein und die ausreichend diffuse Lösung ist dann doch nicht vorhersagbar. Inklusive Humor und Ermittlungsarbeit ist alles drin, was man sich wünscht. Nur der Preis ist frech, aber dafür kann Aaronovitch wohl weniger.
Überraschung zu Beginn: Der sympathische Magieneuling, was er jetzt schon bald ein Jahrzehnt lang ist, wurde im vorangehenden Band suspendiert! Bei der Masse an Peter-Grant-Ausgaben hat man das wohl wieder vergessen. Also heuert Grant nun bei einem privaten IT-Unternehmen als Sicherheitsbeauftragter an und bekommt den Auftrag, einen Saboteur zu enttarnen. In Wahrheit jedoch verfolgt er weiterhin die Ziele des Folly, also der Polizeieinheit, der er immer noch angehört, und ist dabei dem Boss der Firma auf der Spur, der mutmaßlich hinter verborgenen Türen an etwas Schlimmem werkelt. Für Grant ergibt sich die Frage: Sind künstliche Intelligenzen womöglich die neuen unbezwingbaren Geister und Dämonen?
Für diese Geschichte schlägt Aaronovitch neue erzählerische Wege ein: Das Buch ist viergeteilt und den ersten Teil erzählt er in zwei Zeitebenen. Außerdem knüpft er weit weniger an Vorwissen an und lässt diese Geschichte damit zugänglicher sein für Neueinsteiger. An Ungewöhnliches zu gewöhnen haben die sich dann trotzdem noch, etwa Begriffe, Ereignisse, Tatsachen; nicht jeder schwarze Polizist, der von einem weit über 100 Jahre alten Boss im Zaubern gelehrt wird, schwängert eine Flussgöttin. Zugänglicher ist diese Geschichte auch in Hinblick auf die Seitenarme, um im Flussbild zu bleiben, denn die sind eng mit anderen Aspekten der Haupthandlung verknüpft und tragen damit zu deren Voranschreiten bei, anstatt sie lediglich mit wildem Fabulieren zu unterbrechen, wie es in früheren Büchern vorkam.
Wie immer spannend ist, wie Aaronovitch Magie und Technik, Fantasy und Jetztzeit kombiniert. Sein Peter Grant ist in allen Belangen auf der Höhe der Zeit, und das zu sein ist auch für den lesenden eine gute Ausgangslage. Ebenso ein weit gefasster Blick in Allgemeinbildung und Populärkultur (inklusive der Frage, ob der Blitz in David Bowies Gesicht auch im Original schon Ziggy Stardust anstatt Aladdin Sane zugeschrieben ist): Wer etwa niemals Douglas Adams‘ „Per Anhalter durch die Galaxis!“ gelesen hat, versteht die ganzen Bezeichnungen rund um die IT-Firma gar nicht, die nicht zufällig Serious Cybernetics Corporation heißt. Erst spät schlüsselt Aaronovitch diese Bezüge in der Handlung erst auf, man muss wie Grant wissen, worauf das alles basiert, um den Witz sofort zu verstehen, hat aber keinen Verständnisnachteil, wenn man es nicht kennt. Außerdem ist Aaronovitchs Stil so angelegt, dass er mit rhetorischen Kniffen Begebenheiten schildert, ohne sie konkret zu beschreiben; ein wenig verschachteltes Denken ist bei der Lektüre von Vorteil.
Gleichzeitig erscheint mit „Fuchsgeschrei (Cry Fox)“ (Panini) die fünfte Graphic Novel der Reihe, angesiedelt zwischen den Romanen sechs („Der Galgen von Tyburn“) und sieben („Die Glocke von Whitechapel“). Darin rächt sich die russische Mafia an der „Nachthexe“ aus der zweiten Graphic Novel, indem sie deren Tochter entführen lässt. In der Folge vermisst Grant auch noch seine Cousine Abigail, die eigentlich unter dem Schutz des Folly steht, und sieht sich Grants Kollegin Guleed in die Angelegenheit verwickelt. Füchse spielen eine nicht unwesentliche Rolle, unter anderem in Figur des Mischwesens Reynard Fossmann, aber auch als Ziel der typisch englischen Jagd, die hier allerdings perfide abgewandelt werden soll. Die Zeichnungen sind statisch wie immer, die Dialoge längst nicht so humorvoll und geschliffen wie in den Romanen, aber als Ergänzung sind diese Geschichten aus der neunten Kunst mehr als unterhaltsam.
Befremdlich ist nur das Vorgehen des Romanverlags: Das neue Buch hat ein größeres Format und kostet gleich mal 15 Euro, was eine Preissteigerung von annähernd 50 Prozent bedeutet. Man muss ja die Kuh melken, so lang sie noch etwas abwirft. Zusätzlich zu den 17 Euro teuren Comics, von denen das sechste für den November zur Veröffentlichung vorgesehen ist, kann man mit Peter Grant also arm werden. Aber dafür reich an fantastischen Geschichten. Dafür nimmt man auch in Kauf, dass der Verlag die Titel nach einem wiedererkennbaren Muster umstrickt. Mit „False Value“ ist die Anspielung auf IT-Themen gelegt, passt deutlich besser als der plakative Weiße Schwan.