Von Matthias Bosenick (16.05.2016)
Wer diese Art von Fusion Jazz vorgesetzt bekommt, sie aber nicht gewohnt ist, mag von der schieren Progressivität überfordert sein. Dabei passieren die musikalischen Absonderlichkeiten hier gar nicht so vermeintlich unübersichtlich wie beispielsweise beim Free Jazz; es ist doch etwas dichter am Progrock. Und wer sich für die Hörspielmusik des Europa-Labels der Jahre 1979 bis 1984 begeistern kann, also für Bert Brac alias Carsten Bohn schwärmt und idealerweise auch noch dessen „Brandnew Oldies“ im Schrank hat, bewegt sich mit „Deamland Mechamism“ auf einigermaßen vertrautem Terrain. Mit weltbewegenden Gastmusikern.
Was hier natürlich fehlt, ist der emotionale Bezug zu Kriminalfällen und Abenteuern sowie zur eigenen Biografie. Dennoch hat Beledos Musik etwas soundtrackhaftes, aber eben zu einem selbst zu generierenden Kopfkino. Seine Jazz-Fusion ist spannend: Die vielen Gastmusiker und er schaffen einen warmen Sound, kein kaltes, sprödes Egogewichse. Jeder kommt mit seinem favorisierten Instrument dergestalt zum Zuge, dass er seine Können darauf schon vorführen darf, aber niemand ufert in seelenloses Gegniedel aus. Gleichzeitig tendiert die Musik nicht in schnöden Wohlfühlkitschpop, sondern bleibt auf attraktive Weise komplex (oder auf komplexe Weise attraktiv, geht beides). Und doch streut das Ensemble immer wieder nachvollziehbare Melodien ein.
Der Chef selbst spielt allerlei Saiteninstrumente, von E-Gitarre über Bass und Spanischer Gitarre bis zur Violine, sowie Tasteninstrumente wie Piano, Moog und Akkordeon. Mit diesen verleiht er jedem der zehn Stücke eine eigene Färbung, er setzt nicht alles gleichzeitig ein. Anders bekäme er den Spagat zwischen groovendem Progrock und etwa „Sketches Of Spain“ gar nicht erträglich hin. Gesang gibt es übrigens nicht, „Dreamland Mechanism“ bleibt instrumental. Und das ist auch gut so; nur einmal erklingt eine Stimme, aber textlos als zusätzliches Instrument.
Das beigefügte Infoblättchen verrät übrigens, dass Beledo in Uruguay geboren ist und in New York lebt. Auf Discogs erfährt man zudem, dass er mit einigen der gegenwärtigen Musiker auch schon unter dem Alias „The Avengers“ zusammenarbeitete. Das bestätigt die Biografie auf seiner Webseite und ergänzt Abenteuerlichkeiten wie Gastbeiträge für die südafrikanische Jazzband Ojoyo sowie eine Europa- und Karibik-Tour mit „A Tropical Tribute To The Beatles“. Seine erste Band Siddharta datiert mindestens auf das Jahr 1977 zurück. Der Typ muss also schon was älter sein. Und das hört man dem neuen Album auch an: nicht altbacken, aber auch nicht schwärmerisch-juvenil, sondern von jemandem mit Expertise und Besonnenheit.
So wählte Beledo auch seine Mitstreiter aus. Man muss schon etwas googeln und discogsen, um die Besonderheiten in Erfahrung zu bringen. Schlagzeuger Gary Husband etwa war Mitglied von John McLaughlins 4th Dimension und Level 42, er spielte mit Allan Holdsworth von Soft Machine, Jack Bruce von Cream, Billy Cobham sowie bei Gongzilla. Die Liste der Musiker, mit denen Bassist Lincoln Goines die Bühne teilte, ist sogar noch länger; darauf enthalten sind Sonny Rollins, Dizzy Gillespie, Tito Puente, John Scofield und dutzende Dutzend weiterer Jazzer.
„Dreamland Mechanism“ hält nicht hinterm Berg, dass die Beteiligten intellektuell was auf dem Kasten haben. Trotzdem überfordert das Album nicht. Andererseits wird man es auch nicht unbedingt jeden Tag hören wollen, weil es den Hörer zumindest herausfordert. Und irgendeine Lücke lässt: Es ist nur noch nicht so richtig klar, welche das ist. Es ist eine gefühlte Lücke. Vielleicht einfach nochmal hören.