Von Matthias Bosenick (26.09.2016)
Stimmt schon, bisweilen muss man sich „Braunschweig schön trinken“. Ist aber keine ganztägige tägliche Lösung. Besser, man sucht sich in der Stadt seine Eckchen, die man schön findet. Vorliegendes Kompendium bietet dazu eine Betrachtung beträchtlicher Kneipen an, von denen einige definitiv Inseln des Schönen sind. Die Betrachter rekrutieren sich hier aus jungen Kunststudenten und alteingesessenen Trinkerprobten. Da die HBK Auslöser für das Projekt war, tat es diesem gut, dass sich die Autorenschaft durchmischt. Vollständig ist diese Übersicht natürlich nicht, aber ausreichend kenntnisreich selektiert.
Vor der Lektüre überlegt man sich, welche „Kneipen“ man gern in diesem Buch aufgeführt gewusst hätte. Man wird überrascht: Die Trefferquote ist immens hoch, ergänzt durch Etablissements, die man selbst sträflich vergessen hätte. Nicht jedes Lokal erfüllt zwar den Tatbestand des Kneipeseins, aber das ist auch gut so, weil es die Auswahl bunter macht. Die deckt Altgedientes wie das Lindi, Jungorientiertes wie Luke 6, Exotisches wie die Kaffeezeremonie, Szenisches wie das Café Riptide, Sportliches wie die Wahre Liebe, Gängiges wie die Saunabar in der Wasserwelt und Alternatives wie das Nexus ab. Um noch mehr Querschnitt dazuzubekommen, wirft Till Burgwächter in der ihm üblichen augenzwinkernden Schnoddrigkeit alphabetisch sortiert tiefere Einblicke in die Randbereiche der Braunschweiger Kneipenkultur ein.
Die Beiträge der etablierten Autoren, neben Burgwächter sind dies übliche Verdächtige wie Axel Klingenberg, Gerald Fricke und Hardy Crueger, sind hier eine notwendige und willkommene Ergänzung. Einerseits sprachlich, weil sich hier die natürlich gewachsene Souveränität Bahn bricht, und zum anderen, weil sie einen selbsterlebten Blick auf die Kneipen ihrer Wahl werfen. Die Blicke der HBK-Studenten basieren seltenst auf langfristig Erlebtes: Meistens betraten sie ihre vorgestellte Bar nur für den Artikel überhaupt erstmals. In diesen Texten fehlt dann zwar die kenntnisreiche Basis, die die meisten Leser vermutlich haben, andererseits betrachten sie die Lokale mit einem erfrischenden, neuen Zugang, der das Gewohnte hinterfragt. Als Mensch in den mittleren Jahren, der man die Kulturzentren seiner kleinen Stadt hinlänglich kennt, bekommt man dafür eben vermittelt, wie Jugendliche so ticken, welche Erwartungen sie haben, wo es Unterschiede und Gemeinsamkeiten gibt. Und die Jungen können von den Texten der Älteren vielleicht etwas lernen.
Bei den meisten Artikeln fühlt man sich fröhlich im eigenen Erleben bestätigt. Doch so mancher schriftstellerischer Neuzugang hat etwas unangenehm Entlarvendes. Man fragt sich beschämt: Geht es in meiner Lieblingskneipe wirklich so zu? Hat der Schreiber vielleicht sogar mich beobachtet? Und dann: Habe ich meine Erwartungshaltung etwa schon so weit heruntergeschraubt, dass ich das Dargestellte hinnehme, weil ich weiß, dass es einfach in Braunschweig keine bessere Alternative mehr gibt? Muss ich mir tatsächlich „Braunschweig schön trinken“?
Gleichzeitig entdeckt man jedoch auch Beiträge, die man ein bisschen als verpasste Chance auffasst. Beispielsweise ist der fingierte Trinkerdialog aus der „Strohpinte“ zwar unterhaltsam, hat aber nur bedingt etwas mit der Kneipe zu tun, deren Betreiber Helmut wiederum die allerbesten Geschichten aus 42 Jahren Kneipenleben in Braunschweig zu berichten weiß.
In jedem Fall ist dies ein lohnenswertes Buch. Unterhaltsam, witzig, lehrreich und für so manchen, der sich nur in seinem Kiez bewegt oder neu in der Stadt ist, ein informativer Leitfaden. Darauf ein Wolters! Gern auch mit B. Trinker.