Ayn & Marlen und Marlen – Voices Phenomena – Toten Schwan Records 2024

Von Matthias Bosenick (27.12.2024)

Die Musik auf „Voices Phenomena“ ist so spooky, wie es das Thema erhoffen lässt: Tonbandstimmen, auf Englisch EVP für Electronic Voice Phenomenon, auf Esoterisch Instrumentelle Transkommunikation, bezeichnen auf Tonbändern auftretende Stimmen, allerdings solche, die zum Zeitpunkt der Aufnahme gar nicht zu hören waren, also womöglich solchen aus Totenwelten. Mit Repetitiven Figuren aus Dark Wave, Industrial und Death Rock widmet sich das italienische Duo mit dem Trio-Namen Ayn & Marlen und Marlen diesem Phänomen – und ja, manches haucht wie aus anderen Welten, anderes steht mit beiden Füßen fest auf der Erde, die wir sehen. Gruselig!

Im Intro, das den passenden Titel „Preludio“ trägt, bekommt man eine akustische Umsetzung des Phänomens, eine Transkription dessen: Man hört Seitenblättern zu verstörenden Soundscapes. Ja, so mag sich das verhalten. Und dann stellen Ayn & Marlen und Marlen die Erwartungen auf den Kopf: In „Sahasrara“ brettern Gitarren so heavy wie bei The Nefilim durch das heimgesuchte Geisterzimmer, das Stück ist partiell industrial-artig und im Verlauf auf weiten Strecken beatlos mit Bratzgitarre. Und schon ist man auf der falschen Fährte, denn so bleibt das Album nicht.

Vielmehr verlegt sich das Duo nun wirklich auf das, was man sich unter dem Konzept vorstellt. Die Musik ist leer, kalt, monoton, langsam, mal eher elektronisch, mal mit Gitarre versehen und sehr von den Stimmen bestimmt, der männlichen von Ayn alias Christian Nicolao und der weiblichen von Marlen und Marlen alias Simona Boglietti, die mal singen, mal wispern, mal murmeln und damit die beklemmende Atmosphäre der ohnehin schon beklemmenden Musik nur verstärken. Natürlich Stimmen, siehe Konzept!

Da es dem Duo primär um Stimmungen geht, nimmt es sich für seine Tracks auch Zeit und lässt die Effekte wirken. Dabei variiert es die Ausrichtung, die Gewichtung der Komponenten, und reichert sie unerwartet an: In „Our House“ etwa, nicht gleichzusetzen mit dem Hit von Madness, bekommt die elektrische Gitarre einen sehr warmen Grundton, in „Shades“ begleitet eine schroffe Akustikgitarre das Ticken einer Uhr, „Into The Eyes“ könnte man beinahe als Gothic-Song auffassen, irgendwo im Bereich Dead Can Dance oder This Mortal Coil, und das Titelstück grummelt mit männlichem Kehlkopfgesang zu langsamen Waverock mit himmlischer Frauenstimme.

Mit seinem dritten Album setzt das Duo aus Biella im Piemont das Outro zum Vorgängeralbum „From The Floor Below“ fort, lässt es in der Info wissen. Außerdem teilt das Duo darin mit, dass „Voices Phenomenon“ das weiße Albedo darstellt, das aus dem schwarzen Nigredo resultiert. Ganz ohne Esoterik geht’s bei so einem Thema einfach nicht, obwohl man schon den Eindruck bekommt, Ayn & Marlen und Marlen bedienten sich bei der Konzeption dieses Albums bei solchen Inhalten doch mit einem Augenzwinkern. Wie auch immer: Ihnen ist ein gruseliges, atmosphärisches, düsteres Album gelungen!