Von Matthias Bosenick (02.09.2015)
Als „Braunschweig-Buch“ bewirbt der aus der Heide zugezogene Altpunk Axel Klingenberg sein „Döner mit Braunkohl und Bier“; da könnte also viel Schlimmes drin stecken, doch umgeht Klingenberg die hurratouristischen Klippen und biedert sich beim Stadtmarketing nicht an. Vielmehr empfiehlt er sein Werk als Pflichtlektüre für Braunschweigs Offizielle, wie eben das Stadtmarketing und besonders auch das Kulturinstitut, das Kultur abseits von eigengeförderten Mainstreamaktivitäten wie „Kultur im Zelt“, „Klassik im Park“ und den Opern auf dem Burgplatz – die allesamt durchaus ihre Berechtigung haben – nicht wahrnimmt. Es gibt nämlich ein Braunschweig ohne Lobby, in Sachen Betrachtung, Bewertung und Bespielung. Klingenberg rückt die Unsichtbaren ins Licht, indem er ihre Stimme ist. Wer solches tut, muss seine Stadt schon sehr mögen: sonst wäre sie ihm ja egal und seine Mühe müßig.
Und Mühe steckt drin in diesem Buch. Klingenberg recherchierte in allen erdenklichen Archiven, um prominente Zitate aus allen Jahrtausenden zu finden, die sich über Braunschweig auslassen und – Zufall? – meistens seine despektierliche Haltung teilen. Wer sich nicht alles schon auf der Durchreise in Braunschweig langweilte. Oder in einer kurzen Phase, in der Braunschweig mal der Lebensmittelpunkt war; so richtig prominent, stellt der Autor dabei fest, ist davon bis auf Dichter Wilhelm Raabe aber niemand. Das Provinzielle, das Braunschweig heute mit seinen Versuchen, sich etwa als „Stadt der Wissenschaft“ zu positionieren, nur umso deutlicher unterstreicht, haftete dieser Stadt also schon immer an.
Auch Klingenberg selbst ist kritisch. Er deutet auf teilweise populäre Veränderungen und Maßnahmen, die er politisch und gesellschaftlich hinterfragt und damit ihre Verwerflichkeit offenlegt. Damit wird er zum Anwalt derer, die offenen Auges, aber ungehört sind: Trotz offizieller Seligpreisung gibt es nämlich eine nicht geringe Menge an Bürgern, die mit vielen politischen Entscheidungen nicht einverstanden sind, und das auch außerhalb der Amtszeit von Ex-NPD-Oberbürgermeister Dr. Gert Hoffmann. Was der Stadt nicht nur laut Klingenberg fehlt, ist also eine kritische Gegenöffentlichkeit. Die bietet er mit diesem Buch, was natürlich nicht ausreicht, aber die Leser wenigstens bestätigt und dabei auch noch unterhält.
Aber das ist nicht alles, was in diesem Buch steckt. Zusätzlich deckt Klingenberg die entwaffnend liebevollen Eigenarten der Braunschweiger auf, sei es im Stadion, beim Karneval oder an der Theke. Er blättert in der Historie, sowohl politisch als auch musikalisch, künstlerisch, fußballerisch, wissenschaftlich sowie in den Legenden um etwa Till Eulenspiegel. Auch blickt er mit Argusaugen in die nähere Umgebung dieser „Metropolregion“. Gleichzeitig gibt er aber zumeist alternative Tipps für Ausflüge und Szenegänge. Besonders dabei erweist er sich als Kenner der Subkultur und lässt so gut wie keine begrüßenswerte Aktivität oder Örtlichkeit ungenannt. Damit erstellt er ein verdientes Kompendium der zu Unrecht nur im Schatten Kreativen dieser Stadt, die etwa die fehlende Bespielbarkeit eines mittelgroßen Kulturzentrums in Eigenaktivität zu kompensieren bestrebt sind und dafür nicht die verdiente offizielle Anerkennung erhalten. Außer hier. Und in szeneimmanenten Foren.
Die thematisch sortierten Texte verfasste Klingenberg in seiner gewohnt respektlosen Art, mit subtilem Witz und nicht immer offensiver Ironie. Und ganz wie der knorrige Wiglaf Droste schwärmt Klingenberg unverhohlen, wenn ihm etwas gefällt. Dieses Buch ergänzt perfekt die parallel veröffentlichte Textsammlung „Die Wahrheit über Braunschweig“ von Verleger Andreas Reiffer. Diese Neuausgabe des bereits 2010 in dunklem Blau erschienenen Buches ist um einige topaktuelle Themen erweitert, was man bei der Lektüre durchaus deutlich wahrnimmt.