Von Guido Dörheide (20.08.2022)
Vor einigen Jahren hat mich die schwedische Melodeath-Institution Arch Enemy – damals noch mit Angela Gossow als Sängerin – sehr beeindruckt. Harte Musik und ein gegrowlter Gesang, bei dem es mich immer erstaunt hat, dass da tatsächlich eine Frau singt und kein Mann. Nach Gossows Ausstieg 2014 ist Alyssa White-Gluz in deren Fußstapfen getreten. Eine Kanadierin, was schon mal ein gutes Zeichen ist, schließlich macht beispielsweise Mel Mongeon von den kanadischen Grindcore-Veteranen Fuck The Facts mit schöner Regelmäßigkeit deutlich, dass tiefes, lebensverneinendes Growling keine Männerdomäne sein muss und auch nicht sein darf. White-Gluz macht auch gesanglich alles richtig und steht Gossow in Sachen Growlingkompetez in nichts nach. „Deceivers“ heißt nun das neue Album von Arch Enemy – wird es dem Titel alle Ehre machen und enttäuschen? Äh, nun ja, Spoiler-Alert: Ja, es wird.
Zuallererst frage ich mich: Wo zum Teufel ist der Death im Melodeath? Irgendwie klingt die Musik vor allem nach Powermetal und NWoBHM. Es geht los mit dem ersten Stück „Handshake With Hell“: Sehr schön theatralisches Gitarrenintro, nach einer knappen Minute geht es dann los – aber es ist wahrlich nur ein Gehen, „Losdonnern“ ist anders. AW-G growlt sehr schön und macht dann im Refrain Klargesang, der schön klingt, aber jegliches Alleinstellungsmerkmal und damit auch jeden Wiedererkennungswert vermissen lässt. Hätten die Schweden Doro für den Refrain engagiert, oder von mir aus auch Udo Dirkschneider, es hätte sich besser ausgegangen.
Rappelnde Drums leiten dann das Titelstück „Deceiver, Deceiver“ ein, das geringfügig besser abgeht als das Eröffnungsstück. Sich aber dennoch so anhört, als enthielte der IKEA-Ersatzteilautomat jetzt auch noch Metalriffs und nicht nur überall hineinpassende Schrauben und dergleichen. Und der Refrain lässt Tote auferstehen, zum Volume-Regler wanken, diesen auf Null drehen und sich wieder hinlegen. „In The Eye Of The Storm“ beginnt dann mit einem Römmpömmpömmpörömmpodömmtöm-Riff und AW-G gibt wieder alles. Nützt aber nichts, der Song langweilt unheimlich sehr, sehr.
„The Watcher“ zieht dann das Tempo in Richtung Thrash an, der Refrain gerät aber wiederum so süß und anschmeichelnd, dass Amott, Loomis und Erlandsson geben können, was sie zu geben bereit sind – AE bringen wiederum den Death nicht in den Melodeath hinein, sondern gießen ein Füllhorn Schmalz über den Hörenden aus (und Sharlee D‘Angelo am Bass ist eh nicht zu hören). À propos Horn: An manchen Stellen denke ich, dass AW-G gesanglich gar nicht so weit auseinander liegt mit Johan Hegg von Amon Amarth – nur dass dieser keine blauen Haare hat. Und AW-G nicht von Rollo und Haithabu singt. Aber immerhin von einem vergifteten Pfeil, wobei es sich bei dem Gift höchstwahrscheinlich um ein Narkoleptikum handelt.
Die nächsten Titel skippe ich mal – wobei das Intro von „Sunset Of The Empire“ von einem schönen Bassgedonner D‘Angelos dominiert wird, bis Alyssa mit den hochnotkreativen Zeilen „Wööölcome to the Apocalööööpse“ alles ruiniert. Richtig rein in die Fresse des guten Geschmacks haut dann nochmal das vorletzte Stück „One Last Time“: „Frustration, Stagnation. Determination, oooooh – confrontation!“ Hier lassen AE der Kreativität wahrlich freien Lauf, frustrichtich popichtich. Reach out, touch faith. Lift up the receiver, I make you a believer. Nein – eher einen deceiver, bzw. einen vom deceiver auf das Entschiedenste deceivtem.
Somit gilt: Arch Enemy. Deceivers. Da ist der Name Programm. AE enttäuschen in voller Breite und ganzer Länge.