Von Matthias Bosenick (04.10.2024)
Das geht einmal quer durch die Welt: Die Band mit dem nach einem ägyptischen Gott benannten Namen Anubis kommt aus Sydney und singt auf ihrem siebten Album „The Unforgivable“ über einen Mann, der im mittleren Westen der USA einer Sekte mit dem schönen Namen „The Legion Of Angels“ verfällt und ihr wieder zu entkommen versucht; das Cover spiegelt dies beklemmend wieder. Da passt ja außerdem der Bandname wie die Faust aufs Butterbrot. Ihre Musik beschreibt das nunmehr seinen 20. Geburtstag feiernde Sextett selbst als Cinematic Progressive Rock, das kann man so annehmen und sich darüber freuen, dass es trotz epischer Hymnen und emotionaler Elegien zwischenzeitig auch mal zur Sache geht und die zahlreichen Saiteninstrumente dem Aspekt Rock mehr Gewicht verleihen.
„Alone“ an dritter Stelle ist so ein Track, in dem Anubis mal die Sau rauslassen, verschachtelte Riffs losprügeln und dazu eine der anderen Gitarren zum Flirren bringen. Immer nur mal kurz, aber es verleiht dem ansonsten eher ruhigen Track mit operettenhafter Anmutung einen knackigen Konterpart. Als Vergleich fällt einem dabei zuerst Ayreon ein, die Progrock-Megagruppe, die ja ebenfalls Konzeptalben verfrickelter Art erstellt. À propos Konzeptalbum, „The Unforgivable“ ist so eines, Anubis fassen es als einen durchgehenden Track auf, den sie der Nachvollziehbarkeit halber in Zehn Kapitel unterteilen, insofern heiß „Alone“ eigentlich „Part III – Alone“.
Damit erfüllt „The Unforgiven“ einen für Progalben verhältnismäßig typischen Aspekt: Die Tracks selbst sind so vielseitig, dass man den Sprung zwischen ihnen kaum nachvollziehen kann, insbesondere, wenn sie – wie hier – zumeist miteinander verfließen. Aber doch, natürlich: Jeder Track hat andere wiederkehrende Schwerpunkte, andere Grundstimmungen, andere Gimmicks, und doch ergibt alles ein stimmiges Gesamtbild.
Das generieren Anubis zu sechst, eine stattliche Zahl: Gleich vier Musiker spielen Gitarre, davon Douglas Skene und Dean Bennington ausschließlich, und zwar elektrische und akustische; von Robert James Moulding kommen außerdem Gesang und Percussion und von David Eaton zusätzlich mit Synthies und Keyboards die ganze Opulenz. Bassist Anthony Stewart und Schlagzeuger Steven Eaton – Verwandtschaft angenommen! – steuern wie alle anderen zusätzlichen Gesang bei.
Das Cinematische erzeugt die Band via Chorgesang sowie maßgeblich via Synthie und Keyboard, es nimmt in der Tat weite Passagen ein, als Orgel, als Streicher, als Klavier, als Fläche, und steht ebenbürtig neben dem Rockinstrumentarium, sofern nicht mittendrin. Gitarren kann die Band gut rocken, aber auch gniedeln, so geht Prog schließlich, und während die Gitarre sanft weint, fühlt man sich an ausgesuchte Prog-Erfinder erinnert, allen voran an Pink Floyd, beispielsweise in „Part V – One Last Thing“, zwischenzeitig auch mal an Bands aus der zweiten Generation wie Marillion. Das Finale, „Part X – The Unforgivable“, also das Titellied, gestaltet die Band als hymnische Radio-Poprock-Ballade. Musikalisch bezieht sich die Band laut Info zudem auf ihr 2009er-Debüt „230503“ und den Nachfolger „A Tower Of Silence“, das müsste man als Anubis-Neuling mal nachhören. Einzig schwierig ist hier, wie so oft in dem Genre, die hohe, bisweilen durchdringende und somit für zartbesaitete Hörende anstrengende Stimme, obschon der Sänger sie definitiv felsenfest im Griff hat.