Von Matthias Bosenick (05.05.2016)
Wofür stehen Anthrax im Jahre 2016? Immer noch für latent progressiven Thrash Metal? Oder mehr für Egoprobleme einzelner Mitglieder und das unattraktive ewige Wechselspiel am Mikrofon? Wischt man sein Hintergrundwissen beiseite und legt das elfte Album (in 35 Jahren) vorurteilsfrei ein, stellt man fest: „For All Kings“ ist nett heavy und abwechslungsreich, Joey Belladonnas Stimme nervt nicht, es dringen Energie und eigentlich sogar gute Laune aus den Boxen heraus – aber der Vorgänger „Worship Music“ hatte die geileren Songs. So ist „For All Kings“ eine gelungene Traditionspflege, die nicht enttäuscht, aber auch nicht überrascht.
Die Experimente fehlen. Das ist es wohl. Kein Kinderchor, kein artfremdes Instrument, keine unerwarteten Sounds. Alles im Rahmen des Bekannten: rhythmische Riffs, gelegentliche Doublebassparts, fordernder Eiertretergesang, ein bisschen balladesker Pathos, schöne Melodien, ein paar musikalisch herausfordernde Breaks oder Intros – fertig ist das partiell ziselierte Brett. Geht so, kann man machen, tut nicht weh, rockt; das legt man mal ein, wenn man irgendwas Gutes mit Metal im Hintergrund haben will. Zum interessierten Zuhören bietet es jedoch zu wenig Stolperfallen. Nicht schlimm.
Sind halt auch alle älter geworden, nicht wahr. Überdies ist von der allerersten Urbesetzung ohnehin nur noch Gitarrist und Zottelbart Scott Ian übrig, dem wohl die Riffs zu verdanken sind. Mit Frank Bello und Charlie Benante sind immerhin noch der Bassist und der Schlagzeuger dabei, die schon das Debüt „Fistful Of Metal“ 1984 einspielten. Neu ist Leadgitarrist Jonathan Donais, und nun, am Mikro löste schon beim Vorgängeralbum „Worship Music“ der mehrfach gechasste Joey Belladonna den ebenso oft gechassten John Bush wieder ab. Man wundert sich, dass sie Neil Turbin, den Sänger des Debüts, noch nicht reaktivierten. Den Umgang mit den Sängern und das öffentliche Gewese darum kann man nur kritisch betrachten, muss dann aber spätestens mit „Worship Music“ feststellen, dass mit Belladonnas Rückkehr auch der Sound wieder tighter wurde. Und John Bush steht seinen Exarbeitgebern mit den neuen Alben seiner Ur-Band Armored Saints auch in nichts nach. Eine vorteilhafte Situation für beide Seiten.
Das Album gibt es auch als limitierte Version im Digipak mit einem Plastikschuber und einer Bonus-CD. Die enthält vier Live-Songs, die nicht wirklich essentiell sind. Seltsam und verwirrend ist übrigens der Umstand, dass die Tracklist des Hauptalbums elf Songs enthält, die CD aber 13. Das liegt daran, dass bei zwei Songs das Intro separiert mit einem Index versehen ist. Und in Japan bekommt man noch einen 14. Song dazu.