Von Matthias Bosenick (20.01.2018)
Zehn Jahre lang, so kolportiert es die Info, begleitete Regisseur Claus Withopf die musikalische Poetin Anne Clark. Sein Film „I’ll Walk Out Into Tomorrow“ hat also das Potential, der Künstlerin so nahe zu kommen, wie sie es in den 35 Jahren ihrer Karriere so gut wie niemandem gewährte. Woran auch immer es liegt: Das Experiment geht gnadenlos schief. Der Fan gewinnt ein halbes Dutzend neue Erkenntnisse und der Nichtauskenner nicht wesentlich mehr. Was ist der Grund, hat der Regisseur keine Ahnung von seinem Job oder lässt die Porträtierte nicht mehr als das Bisschen zu?
Es geht damit los, dass Anne Clark zum Eingang darüber jammert, dass Plattenfirmen sie am Anfang ihrer Karriere über den Tisch gezogen haben. Damit eröffnet Withopf das Porträt mit einem Themenfeld, das man eigentlich gar nicht mit Anne Clark assoziiert: Kommerzialität, Kohle, Kapitalismus. Von Kunst keine Spur, und auch in den nächsten 80 Minuten erfährt man kaum mehr darüber. Es ist kein angenehmer Eindruck, den man so von Clark bekommt; der Film korrigiert dieses Bild nur unwesentlich, Clark wirkt verbittert, wenn sie spärlich Details aus ihrem Leben preisgibt. Nicht zuletzt die zwei Momente, die sie im Umgang mit ihren Mitmusikern zeigen, festigen den befremdlichen Eindruck von einer herrischen Dame, die rasch ungnädig sein kann.
Es kann also durchaus an Clark selbst liegen, dass der Film misslingt. Sie scheint sich die ganze Zeit über zu weigern, überhaupt mitzumachen. Wer weiß, ob sie beim Sichten des Materials nicht unablässig Szenen gestrichen hat, so dass für einen ganzen Film nur eine halbe Handvoll übrig blieben. Diese fügt Withopf nun ohne einen Hauch von Erzählstrang aneinander, getrennt durch Clarks Musikstücke. Möglicherweise greifen diese inhaltlich die vorangegangenen Themen auf und stellen so tatsächlich ein Bindeglied her; in ihrer Länge vermitteln sie eher den Eindruck von Füllmaterial, weil die reinen Erzählsequenzen zusammen keine Viertelstunde ergeben. Dabei beachtet Withopf keinerlei Chronologie; sowohl die Lieder als auch die Geschehnisse folgen keiner zeitlichen Abfolge. Vermittelnde Erklärungen, nicht nur für Neueinsteiger, fehlen vollends. Wer sich nicht zufällig mit Clarks Vita und Discografie einigermaßen auskennt, ist vollkommen aufgeschmissen. So ist etwa regelmäßig die Rede von einem Album, an dem Clark arbeitet; der Titel „The Smallest Act Of Kindness“ fällt keinmal, der Hinweis, dass das Album bereits vor zehn Jahren erschien, fehlt auch. Man könnte denken, es stünde ein brandneues Album zur Veröffentlichung an.
Withopf zeigt Clark an nur drei, vier verschiedenen Standorten, die meisten Szenen sind an ein und demselben Tag gedreht. Da begibt er sich dann einmal mit der Künstlerin nach London, um sich alte Wirkungsstätten zeigen zu lassen, die sie dann auch brav vorzeigt – und zu sehen bekommt man dabei lediglich Clark im Taxi, aber beinahe kein Stück von London. Noch schlimmer sind die Musikstücke unterlegt, nämlich mit schlechten Lettergrafiken, zumindest am Anfang, und das im Falle von „I Of The Storm“ auch noch fehlerhaft, nämlich als „Eye Of The Storm“.
Zwischendurch schimmert immer wieder durch, dass Clark sehr wohl Spannendes zu berichten hat. Doch sind diese Infos so reduziert, sogar mit Ansage, die Withopf nicht herausschnitt, dass sie auch in einem kurzen Bericht Platz gefunden hätten: Anne Clark wuchs in einem sehr gewalttätigen Umfeld auf, Sexualität war die erste nichtgewalttätige körperliche Erfahrung für die allen drei Geschlechtern gegenüber aufgeschlossene Frau, Clark ist zwar spirituell, verachtet aber Religionen, sie arbeitete eine Weile in einer Psychiatrie, die sie verließ, als die Mitarbeiter begannen, die Insassen zu drangsalieren, eine TV-Sendung über die Sex Pistols weckte den Punk in ihr, ihre Lyrik ist nicht akademisch, sondern emotional, und „Sleeper In Metropolis“ ist von einem Wohnblock in Croydon inspiriert.
Nicht erfährt man, was wann und warum geschah. Nach dem finanziellen Kollaps verbrachte sie einige Zeit in Norwegen; mehr als das berichtet niemand, den Zeitpunkt, die Dauer, den Grund für die Rückkehr. Man weiß nicht, wer die Stücke komponiert, die ihre Lyrik untermalen. Die Zeitpunkte und Orte der Liveaufnahmen und Viceoclips bleiben unerwähnt. Familienstand, Interessen abseits von Lyrik, Lebensweise, musikalische Sozialisastion: Die Künstlerin hält sich bedeckt. Und lacht auch nur zweimal. Gute Laune, so sagt sie, sei für sie nicht inspirierend.
Die Songs indes sind unantastbar. Da hat Anne Clark von Anfang an, also seit 1982, Glück gehabt: Obschon die Musik – wie knapp zehn Jahre zuvor bei Patti Smith – zur Begleitung ihrer Gedichte gedacht war, hatte sie immer Leute an ihrer Seite, die ihre Stücke auch musikalisch zu großartigen Werken machten. Und das in wechselnden Genres. Mit ihrem unverwechselbaren Vortragsstil zu diesen Songs, die keinen Popstrukturen folgen und trotzdem mitreißen, erarbeitete sie sich die Treue vieler Fans – und nicht etwa durch sexualisierte Weiblichkeit, die respektablerweise keinerlei Rolle bei der Darstellung dieser Künstlerin spielt. Das entspricht ungefähr dem Bild, das man als Publikum von Anne Clark hat.
Wer Anne Clarks Werdegang ohnehin verfolgt und bestenfalls noch ihre Semi-Autobiografie „Notes Taken, Traces Left“ gelesen (oder die Hörbuchvariante verinnerlicht) hat, ist am Ende besser bedient als mit diesem Film. Der unterstreicht höchstens die hohe künstlerische Qualität Clarks, mitnichten indes die des Regisseurs. So eine schlechte Musikerdokumentation war im Jahre 2018 und nach einer Vielzahl umjubelter Vergleichswerke, die zu einem großen Teil auch bei Sound On Screen zu sehen waren, nicht zu erwarten.