Von Guido Dörheide (16.11.2025)
Schlechtestes Albumcover-Artwork des Jahres? Mindestens. Aber eine gute Stunde neuer Musik von Anna von Hausswolff, die zuletzt 2022 mit „Live at Montreux Jazz Festival“ begeisterte, ist auch zugleich eine der vom Rezensenten mit allergrößter Spannung und Vorfreude erwartete Neuerscheinungen des aktuellen Jahres.
Anna von Hausswolff hat nicht nur einen bemerkenswerten Namen – voll ausgeschrieben lautet er sogar „Anna Michaela Ebba Electra von Hausswolff“ und stellt damit sowohl unseren schmierigen ehemaligen Verteidigungsminister als auch Hadschi Halef Omar klar in den Schatten (den ihre Eltern wohl auch hatten, angesichts dieses Vornamens-Overkill). Aber wie Onkel Gert sagen würde: „Spielt keine Rolle!!!“ – Frau von Hauswolff liefert mit „ICONOCLASTS“ ein Album ab, das zu lobpreisen ich nicht müde werden werde, sobald sich nicht etwas Besseres am Firmament manifestiert, und das mag lange dauern.
Anna von Hausswolff ist von Haus(s) aus Organistin und hat eine tolle Stimme. Dazu lässt sie elektronische Elemente in ihre Musik einfließen, die durchweg düster und bombastisch ist. Und wie schön „düster und bombastisch“ klingen kann, davon überzeugte sie mich auf „Live at Montreux Jazz Festival“, und seitdem hat mich ihre Musik nicht mehr losgelassen.
„ICONOCLASTS“ haut in dieselbe Kerbe wie das Montreux-Live-Album und begeistert von der ersten Sekunde an: „The Beast“ beginnt mysteriös streichinstrumenteorientiert und macht mit wunderschönen Melodien neugierig auf das, was einem hier noch bevorsteht – nach zwei Minuten bekommt man Angst, dann wird es wieder ruhig. Ein wahres Biest (oder wie meine Mudda und die Mutter meiner Tante formulieren würden: „Dütt ist aber ok ein Beist!“) von einem ersten Song. „Facing Atlas“ beginnt dann mit leisen, verspielten Keyboardklängen und nach gut einer halben Minute ertönt von Hausswolffs Stimme und nimmt die Hörenden mit in das Album hinein. Die Ich-Erzählerin will jemanden dahin zurückbringen, wo er/sie herkam, aber das ist nicht das, was er/sie will. Sie kämpfte hart für ihn/sie, für uns, für unser Leben hier, aber nun muss er/sie gehen. „The world is full of shit and full of evil. But there you stand, you looked at me and begged me for some mercy. But I, I couldn’t take your hand. So I came to take you back to where you came from. But you see, that’s not what I want.“ Und dann nimmt der Song Fahrt auf. Ein elektronisches Geplucker macht sich im Hintergrund breit und mit „Can’t we just run away, it’s no fun to stay“ wird es lauter und lauter, der Verzweiflung des Textes wird musikalisch ordentlich Raum gegeben und am Ende heißt es „Your hand reached out and touched my Soul“. Ist anscheinend alles doch nicht immer so einfach.
Der sich anschließende Titelsong „The Iconoclast“ (ohne Plural-s) beginnt laut und krachig, wird dann ruhiger, aber nicht entspannter. Auch hier geht es um nicht funktionierende zwischenmenschliche Interaktionen. Auf gut elf Minuten besingt von Hausswolff dysfunktionale Eltern-Kind-Beziehungen, wie sie anscheinend an der Tagesordnung sind, und dazu kracht es aus allen Rohren, also aus Schlagzeug, Gitarren, Bass und Keyboards, und am Ende wird es dann merkwürdig poppig, was aber den Gesamteindruck des Songs nicht schmälert.
Bereits jetzt gefällt mir das Album wirklich gut, aber Anna von Hausswolff wäre nicht Anna von Hausswolff, wenn sie das derzeitige Niveau nicht nochmal anheben könnte:
Nämlich auf „The Whole Woman“, das eine Konversation zwischen Mann und Frau darstellt, dysfunktional ist auch hier wieder das Stichwort und man weiß nicht, wessen Aussagen man weniger verstehen kann, aber hey! Wurscht! Der männliche Teil wird nämlich von Iggy Pop dargeboten, und Herr Pop und Frau von Hausswolff ergänzen sich auf das sowas von Vortrefflichste, dass man künftig eigentlich nie mehr etwas Anderes hören möchte.
„The Mouth“ und „Stardust“ sind dann wieder längere Songs (der Erstere gut und der Zweitere knapp sieben Minuten lang) und beide sind wunderschön und wunderbar düster, mit viel Orgel und dabei viel Geschrei von Frau von Hausswolff, und dann folgt wieder ein deutlich kürzerer Song, der es aber dennoch in sich hat:
„Aging Young Women“ beginnt ganz ruhig und nach einer eher kryptischen ersten Strophe heißt es im Refrain, dass wir immer älter werden, von Jahr zu Jahr mehr Ängste entwickeln und dass der Traum von der Zukunft langsam verschwindet. Diese Zeilen singt Anna von Hausswolff zusammen mit Ethel Cain, die dann auch die folgende Strophe beisteuert und weiters mit von Hausswolff zusammen den Gesang bestreitet. Und diese beiden Stimmen passen wunderbar zusammen und liefern ein trauriges, hymnisches Lied ab, dass für mich ein Highlight des Albums darstellt.
„Consensual Neglect“ ist ein Instrumental, das mit einem nicht enden wollenden traurigen Saxofon-Intro beginnt und dann von Streichern begleitet ebenso traurig immer lauter wird.
„Struggle With The Beast“ ist dann nochmal ein Song, der den Hörenden zu schaffen macht. Er beginnt mit Klarinette und Saxofon, zunächst ein wenig kakophonisch, und dann sich in einen hypnotischen und dann auch vom Schlagzeug begleiteten Rhythmus hineinmäandernd, und der Text handelt von jemandem, die/der sich selbst in die Psychiatrie einweist und sich „fucked up in my head“ fühlt. Dieser Song ist mit knapp neun Minuten kein bisschen zu lang, wühlt die Hörenden auf und hält immer wieder noisige Passagen (und der Krach kommt hier nicht aus der E-Gitarre, sondern aus dem Saxophon!) bereit, die gut zu von Hausswolffs panischen und kreischenden Vocals passen. Von „gut miteinander harmonieren“ will ich hier nicht schreiben, und gegen Ende kommt noch ein wahrhaft apokalyptisches Saxophon hinzu. Puh.
Und jetzt hoffentlich relaxen. Zwei lange Stücke („An Ocean Of Time“, knapp acht Minuten, und „Unconditional Love“, sieben Minuten) wollen noch durchgehört werden, bevor das Album mit dem nur zweieinhalb Minuten langen „Rising Legends“ dann ein Ende findet.
„An Ocean Of Time“ ist ein sehr ruhiges Stück, fast ein Instrumental, wenn da nicht mittendrin diese zwei Minuten wären, in denen von Hausswolffs Stimme die Instrumente ergänzt, und „Unconditional Love“ ist tatsächlich ein leiser Song, auf dem die Stimme das Hauptinstrument darstellt. „Rising Legends“ schließt das Album dann instrumental ab, und das braucht man auch. Anna von Hausswolff hat die Hörenden mit ihrer Stimme, den ganzen Saxophonen und der vielen Orgel in der Stunde zuvor mehr als genug gefordert und mit „ICONOCLASTS“ ein grandioses Album vorgelegt, das lange nachhallen wird.
