Von Guido Dörheide (16.10.2023)
Böse Zungen, also in allererster Linie ich selbst, behaupten, dass ich in letzter Zeit hier nur Extreme Metal bespreche. Und sie haben Recht. Hier nun also, als lange fälliger Kontrastbeitrag, mal eine Neo-Psychedelic-Jangle-Pop-Rezension, über ein Album, das sich so nach und nach als apseluter Kritiker*innenliebling herauskristallisiert: „Zuma 85“, das vierte Album der Allah-Las. Wäh? Sommer 85 von À la Lars? Ja, bescheuerter Bandname hin, bescheuerter Albumtitel her, das Teil ist einfach klasse, und beim langsam in den Oberharz einbrechenden Winter (Winterreifen sind drauf seit Samstag! Hell yeah, fuck yeah!!!) ist „Zuma 85“ genau das, was wir jetzt brauchen können, um vom Sommer nun langsam in den Herbst hinübertreten zu können.
Erstmal: Die Allah-Las hören sich an, als stammen sie direkt aus den 60ern, sie legen auch Wert darauf, entsprechend antiquiertes Equipment einzusetzen, damit sich alles schöön authentisch anhört, las ich jüngst in einem Interview.
Dennoch klingt die Musik des Quartetts aus Los Angeles nicht so, als kopiere man Altbewährtes, also beispielsweise die Byrds, die Kinks, die Animals, die Zombies, die Yardbirds oder weitere Bands, deren Namen mit „Die“ beginnen. Vielmehr wird mit dem Handwerkszeug der Vorgenannten etwas Neues, Eigenes entwickelt, das leicht daher kommt, sehr viel zum Entdecken bietet und beim Genaueren hinhören auch fordert und aufwühlt. Sänger Miles Michaud hält anscheinend nicht sehr viel davon, großartig mit der Stimme herumzuvariieren, sein Gesang vermittelt vielmehr den Eindruck, als verharre er konstant auf derselben Tonhöhe. Was er selbstverständlich nicht tut, aber wenn jemand lässig und unaufgeregt klingt, dann er, und nebenbei verfügt er über eine tolle Stimme. Gleich auf dem ersten Song „The Stuff“ setzt er sich quasi als geistiger Neffe Lou Reeds in Szene, was auch an dem mit geradezu stoischer Monotonie eingeklampften Riff des Songs liegt. Kurz vor der Hälfte setzt dann eine diskret untergebrachte, aber schön jaulende Leadgitarre einzelne zaghafte Akzente, um dann im letzten Viertel des Songs komplett zu explodieren und leiernd bis dröhnend das Riff zu übertönen versucht und dabei grandios und unterhaltsam scheitert.
Das folgende „Jelly“ lebt im Grunde genommen von einem ganz ähnlichen Riff, das aber weniger bratzig daherkommt und gleich zu Anfang von haufenweise anderen Melodien umspielt wird. Michaud singt dabei sanfter und weicher und liefert dabei Melodien ab, die mich teils an britische Bands aus den 90ern erinnern.
„Right On Time“ haut in dieselbe Kerbe wie die ersten beiden Songs, auf „GB BB“ wird die Gitarre dann etwas fuzziger und der Gesang unmelodischer und beinahe monoton, außerdem leicht verzerrt. Dazwischen auflockernde Gitarrensoli, von mehrstimmigem Gesang begleitet, gefällt mir.
„Hadal Zone“ baut sich langsam auf der Grundlage einer auf abgedämpften Saiten gezupften Gitarrenmelodie auf, die eigentlich mehr ein Rhythmus ist. Dazu gesellen sich wabernde Synthies und eine an ein Nebelhorn auf hoher See erinnernde weitere Gitarre. Das ist eigentlich ganz schön und könnte ewig so weitergehen, wird aber noch besser: Ungefähr nach drei Minuten setzt ein leicht schriller Synth ein, der melodietechnisch auch bei Klaus Schulze oder ähnlichen deutschen Elektropionieren auftauchen könnte. Dazwischen immer wieder ein Ton wie ein Echolot (passt, „Hadal Zone“ bezeichnet die tiefsten Stellen des Meeresbodens). Lange hat mir kein Instrumental so viel Spaß gemacht. Der gezupfte Gitarrenrhythmus läuft dann einfach weiter und bildet die Grundlage für das nächste Stück „Fontaine“; hier wird jetzt auch wieder gesungen, sanft und leise mit viel Hall und eine sachte sägende Gitarre untermalt das Ganze. Auf „Pattern“ wird das Tempo geringfügig angezogen, Matthew Correia liefert dazu so etwas wie einen Boom-Chicka-Boom-Rhythmus, die Gitarren von Miles Michaud und dem Leadgitarristen Pedrum Siadatian duellieren sich, indem sie sich aber eher mit Wattebäuschen bewerfen denn mit Fäusten aufeinander losgehen. Dazu schüttelt Michaud wieder betörende Melodien aus dem Handgelenk, die mit ihrer UK-Anmutung die eindeutig kalifornisch jangelnden Gitarren schön kontrastieren.
In ähnlicher Weise könnte ich mich jetzt über alle weiteren Stücke auslassen: Die eben beschriebenen Bausteine werden immer wieder anders, immer wieder überraschend und immer wieder wunderschön neu zusammengesetzt, dieses Album ist wunderschön, irgendwie entschleunigt, langweilt nie und nervt nie. Es braucht außerdem keinen Urlaub, wird nie krank und ist immer vor dem Chef im Büro.
Auf „Smog Cutter“ werden Wah-Wah und Vocoder gleichzeitig eingesetzt und Spencer Dunham liefert dazu eine Basslinie, an dem sich die Melodie des Gesangs wunderbar entlanghangelt.
Das Titelstück beginnt mit einem zaghaft anklopfenden Schlagzeug, einem nahtlos an „Smog Cutter“ anknüpfenden Bass und wieder einmal mehr beiden Gitarren im Dialog. Es ist das zweite Instrumental auf dem Album, und auch hier ist wieder kein Gesang vonnöten, um ein abgerundetes Hörerlebnis zu bieten. Den Abschluss des Albums bildet „The Fall“, das mit einer getragenen Orgel beginnt, das Schlagzeug spielt im Walzertakt und Michaud singt hier mehr verschiedene Töne als in allen vorangegangen Songs zusammen. Ein toller Abschluss für ein ganz hervorragendes Album.